Mittwoch, 30. Dezember 2009

Luxusresort

Als solches scheint der eine oder andere mündige Bürger meine Dienststelle anzusehen. Warum das so ist, liegt deutlich jenseits meines Begriffshorizonts. Immerhin sind die Räumlichkeiten, in denen Besucher unseres gastlichen Hauses untergebracht werden, doch eher beengt. Außerdem beschränkt sich das Mobiliar auf eine gemauerte Pritsche, die Bewohner der Nachbarsuiten machen abwechselnd durch brüllende Tobsuchtsanfälle und minutenlanges An-die-Tür-Trommeln auf sich aufmerksam, und das Animationsprogramm besteht aus - nun ja, aus uns eben.

Trotz alledem treffe ich auf Schritt und Tritt irgendwelche Kunden von uns, die solange durch Wort und Tat ihren sehnlichen Wunsch nach Unterbringung in unseren heiligen Hallen ausdrücken, bis wir diesem nachkommen. Meistens beginnt es als vollkommene Banalität und entwickelt sich dann weiter bis hin zu einer ausgewachsenen Forderung.

Da klingele ich z.B. an der Wohnungstür eines "Klienten", um ihn höflich darauf hinzuweisen, daß das lautstarke Abspielen von Punkrock an einem Sonntagabend kurz vor Mitternacht nur bedingt mit gutnachbarschaftlichem Verhalten vereinbar ist. Sein verwirrter Blick signalisiert mir, daß ihm das Konzept des Montag-morgens-früh-Aufstehen-Müssens etwa so fremd ist wie mir die Heiratsriten der Inuit. Offensichtlich müssen wir einen äußerst sympathischen Eindruck gemacht haben, denn kaum sind wir wieder zwei Treppenstiegen entfernt, signalisiert der Musikfreund uns durch erneutes Aufdrehen der Lautstärke, daß er sich gerne weiter mit uns unterhalten möchte.

Selbstverständlich kommen wir dem Wunsch unverzüglich nach. Immerhin ist das verkannte DJ-Genie ein Steuerzahler (wie einer seiner Gäste nicht müde wird, uns zu erklären). Ich kann mir die Feststellung nicht verkneifen, daß das gezahlte Steuervolumen hier wohl in erster Linie aus der Branntweinsteuer stammt, was mir durch eifriges Kopfnicken (und eine Fahne, die einen Grizzly umhauen würde) bestätigt wird.

Wir erklären die Party für beendet, komplimentieren Deutschlands Zukunft unter Protest des Gastgebers hinaus und verteilen freigebig Platzverweise. Offensichtlich sind wir den Jungs aber derart sympathisch, daß sie gar nicht daran denken, sich nach Hause zu verdrücken, sondern trotz Minusgraden in einiger Entfernung um das Haus herumlungern und uns von Zeit zu Zeit mit verbalen Bekundungen ihrer Zuneigung bedenken.

Nun reicht es mir und ich biete eine Übernachtung bei uns an. Murrend macht sich die wandelnde Sozialsystembelastung auf die Socken, wobei sie ein freundliches Geleit durch einige Kollegen erhalten. Doch kaum haben wir uns entfernt, um unser Batmobil zu holen, entscheidet man sich spontan, mein zuvorkommendes Angebot doch anzunehmen, indem man den Kollegen ein freundschaftliches Rugbymatch aufnötigt.

Anscheinend hat man dabei aber vergessen, daß die Regeln des International Rugby Board kein Pfefferspray zulassen. Macht aber nichts, denn der mißglücktes Versuch, gleichzeitig volltrunken auf dem Fahrrad zu fahren und eine Kollegin einzusprühen, erntet dem Ausnahmesportler intimen Kontakt mit dem Diensthund, während sein Teamkamerad nach einem ziemlich mißglückten Tackleversuch unter drei wohlgenährten Schutzleuten begraben wird. Zwei Blutprobenentnahmen und Ingewahrsamnahmen später darf ich mich hinsetzen und zwei Stunden damit zubringen, den Papierkram zu sortieren.

Liebe Leute, wenn ihr so wild darauf seid, eine Nacht in einem nach Urin und Desinfektionsmittel stinkenden Keller zuzubringen und dafür einen nicht ganz geringen Anteil eures Hartz-IV-Geldes per Polizeikostenrechnung abzudrücken, entscheidet euch doch nächstes Mal bitte etwas schneller. Wir hätten nämlich durchaus bessere Verwendung für die Stunden, die wir damit zugebracht haben, mit euch Ringelpiez mit Anfassen zwischen den Sozialblöcken zu spielen. Zum Beispiel könnten wir etwas für die Leute tun, die tatsächlich Steuern zahlen, anstatt uns mit schwachsinnigen, fruchtlosen und vollkommen sinnfreien Sachverhalten wie eurem herumzuärgern.

Obwohl... womöglich führt die Kostenrechnung und Geldstrafe ja in letzter Konsequenz dazu, daß ihr wegen Nichtzahlung in Erzwingungshaft geht. Das hätte zumindest den Vorteil, daß der Rest der Welt wenigstens für eine gewisse Zeit von euch verschont bleibt.

Montag, 28. Dezember 2009

Und es geht weiter

In der Nacht zum Heiligabend überfallen drei maskierte Männer eine Tankstelle in Leimen bei Heidelberg. Auf der Flucht werden sie unweit des Tatorts von einer Streife gesichtet und verfolgt. Einer der Täter gibt mehrere Schüsse in Richtung der Beamten ab, die zurückschießen und ihn zweimal treffen. Der getroffene Täter verstirbt noch vor Ort, seine beiden Komplizen werden wenig später festgenommen. Sie räumen ein, für etliche weitere Raubtaten der jüngsten Vergangenheit verantwortlich zu sein. Die Tatwaffe stellt sich als Schreckschußpistole heraus.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag rufen Anwohner in Hamburg-Barmbek die Polizei, weil ein psychisch kranker Nachbar in seiner Wohnung randaliert und Möbel zertrümmert. Nachdem auf Klingeln und Klopfen nicht reagiert wird, brechen die eingesetzten Beamten die Tür auf und betreten die Wohnung, um eine Eigengefährdung des Verursachers auszuschließen. Sie werden sofort von dem Bewohner mit einem Messer angegriffen. Nachdem ein Pfeffersprayeinsatz keine Wirkung zeigt, gibt derjenige Beamte, dem der Angriff unmittelbar gilt, drei Schüsse ab, die den Täter in den Oberkörper und Arm treffen. Der Täter verstirbt noch vor Ort.

Beim Lesen dieser Meldungen mußte ich an zwei Dinge denken. Zum einen ist mir wieder einmal bewußt geworden, wie sehr die subjektive Wahrnehmung vieler Kollegen ("So was wird mir schon nicht passieren, die Chance ist doch minimal") und die tatsächliche Faktenlage (polizeilicher Schußwaffengebrauch ist bundesweit gesehen ein regelmäßiges und keinesfalls übermäßig seltenes Vorkommmnis). voneinander differieren. Tatsächlich belegen die Zahlen der vergangenen zehn Jahre, daß jedes Jahr in ca. 30 - 80 Fällen die Dienstwaffe gegen Personen eingesetzt wird (Quelle: Prof. Clemens Lorei).

Wenn man voraussetzt, daß von den etwa 266.000 Polizeibeamten in Deutschland grob geschätzt etwa 80.000 im Streifendienst tätig sind (dessen Angehörige in aller Regel diejenigen sind, die in die Situation kommen, ihre Dienstwaffe tatsächlich benutzen zu müssen), ergibt das eine ungefähre Wahrscheinlichkeit von 1:1800 pro Jahr (!!) für den einzelnen Beamten. Wenn ich beim Lotto eine vergleichbare Chance auf den Hauptgewinn hätte, würde ich vermutlich jede Woche zum Kiosk rennen und einen Schein ausfüllen.

Der zweite Gedanke, der mich beschäftigt, ist die Überlegung, daß ein nicht geringer Teil dieser Schußwaffeneinsätze (nämlich gegen Personen, die mit Messern oder sonstigen Kontaktwaffen bewaffnet waren) womöglich hätte vermieden werden können, wenn den Einsatzkräften ein Taser zur Verfügung gestanden hätte. Selbstverständlich ist auch ein Taser kein Allheilmittel für alle Einsatzlagen. Er eröffnet aber Möglichkeiten, einen Täter, der aufgrund von Bewaffnung, körperlicher Statur oder sonstigen Umständen mit herkömmlichen nichttödlichen Einsatzmitteln nicht ohne unzumutbares Risiko für die eingesetzten Kräfte festgenommen werden kann, zu überwältigen, ohne dessen Gesundheit über Gebühr zu gefährden.

Derzeit ist der Taser nur bei diversen SEK und MEK in Gebrauch. Diese Einheiten werden aber in aller Regel nur bei Lagen eingesetzt, in denen im Vorfeld bereits Hinweise auf eine Bewaffnung des Täters vorliegen, können zwangsläufig erst erheblich später am Einsatzort eintreffen als der örtliche Streifendienst, und stehen für Soforteinsätze wie die erwähnten Vorfälle in Hamburg und Regensburg insofern nicht zur Verfügung.

Die Ausstattung des Streifendienstes mit dem Taser ist in Deutschland bisher aus verschiedenen. überwiegend politischen Gründen verworfen worden. Ursächlich dafür waren vor allem negative "media coverage" von Tasereinsätzen in den USA, bei denen es zu einigen Todesfällen kam, deren Hintergrund und Ursache bis dato noch weitgehend ungeklärt sind. Ich vermute allerdings, daß die Ansicht derjenigen, die eine flächendeckende Einführung des Tasers befürworten, sich mittelfristig durchsetzen wird, wie sie das auch in anderen Ländern getan hat.

Die Frage ist vielmehr, wieviele Menschenleben noch verlorengehen müssen, bis unsere gewählten Vertreter sich zu der Einsicht durchringen, daß wir ein zusätzliches Einsatzmittel benötigen, das zwischen Schlagstock/Pfefferspray und Schußwaffe angesiedelt ist.

Samstag, 26. Dezember 2009

Nachtrag

Beim Durchlesen einiger alter Beiträge von mir fiel mir soeben auf, daß ich vor fast genau einem Jahr hier schrieb, daß die Bundespolizei zukünftig ihre Einsatzkräfte mit der Walther P99 QA ausstattet. Das entspricht nicht den Tatsachen; korrekt ist vielmehr, daß die Bundespolizei (wie auch der Zoll) die Heckler & Koch P30 bekommt.

Hingegen ist es nach meinem Informationsstand nach wie vor so, daß die damit ausgestatteten Bundespolizisten tatsächlich aus Kostengründen kein Reservemagazin zu ihrer Waffe bekommen. Der Amtsschimmel wiehert, die Trainer schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, der Verfasser dieser Zeilen rollt mit den Augen und die Kollegen, die mit dieser Ausstattung in den Einsatz gehen müssen, gucken in die Röhre...

Was lange währt, wird endlich gut

Die Polizeibeamten, die vor einem Dreivierteljahr in Regensburg zu einem Einsatz anläßlich einer Bedrohungslage fuhren und im Verlauf dieses Einsatzes den Täter Tennessee Eisenberg nach erfolglosem Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz mit zwölf Schüssen töteten, können aufatmen... das Ermittlungsverfahren gegen sie wurde nunmehr endlich eingestellt und der Abschlußbericht der Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

Die Lektüre dieser (überaus interessanten und sowohl aus taktischer wie aus juristischer Sicht lesenswerten) Ausarbeitung bestätigt einige fundamental wichtige Grundsätze für den polizeilichen Schußwaffeneinsatz, deren Kenntnis die eigene Handlungssicherheit im Einsatz maßgeblich erhöht:

- die Stoppwirkung polizeilicher Dienstwaffen ist vollkommen unkalkulierbar und kann im Einzelfall nicht vorhergesagt werden

- gleiches gilt für Pfefferspray und jegliches andere Einsatzmittel, die auf der Zufügung von Schmerzen basieren

- die Justiz erwartet keinesfalls von dem Polizeibeamten, unter Einsatz seines eigenen Lebens die Auseinandersetzung mit einem Messertäter in der Nahdistanz zu suchen, da sie die erhebliche Gefährdung der Einsatzkräfte anerkennt, die ein solches Vorgehen mit sich bringen würde

- die Rechtmäßigkeit eines polizeilichen Schußwaffengebrauches ist nicht an eine bestimmte Anzahl Schüsse geknüpft, sondern es darf (und muß) solange weitergeschossen werden, bis die Gefahr für Leib und Leben abgewehrt ist

Diese Grundsätze mögen für denjenigen Leser, der mit der Thematik auch nur oberflächlich vertraut ist, selbstverständlich erscheinen. Sie sind es aber unter meinen Kollegen teilweise durchaus nicht, was bei dem einen oder anderen zu erheblicher Unsicherheit bezüglich der eigenen Einschreitschwelle führt.

Tatsächlich ist es im Ernstfall deutlich zu spät, sich diesen Überlegungen zu widmen. Jeder einzelne von uns muß die Frage "Wann und in welchem Fall schieße ich?" für sich selbst individuell und ausführlich im Voraus durchdacht und sich ein robustes, unkompliziertes gedankliches Modell der "rules of engagement" zurechtgelegt haben, das er auch unter Streß abrufen und umsetzen kann. Denn Unsicherheit und Zögern kann den Betreffenden im Einsatz diese winzigkleine Zeitspanne kosten, die womöglich irgendwann den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmacht.

Jeder von uns möge deshalb die "Linie im Sand" zumindest im Geiste rechtzeitig im Voraus ziehen. Dazu bedarf es einerseits regelmäßigen guten Trainings, um die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen zu können, und andererseits die gedankliche Auseinandersetzung mit Rechtsprechung, Gutachten und Einsatzberichten. In diesem Sinne möchte ich meinen Kolleginnen und Kollegen nachdrücklich ans Herz legen, sich mit dem oben verlinkten Bericht mal etwas ausführlicher zu beschäftigen... und mit allen anderen Daten und Fakten zu diesem Thema, die ihnen in die Hände fallen.

Fröhliche Weihnachten und paßt auf Euch auf...

Montag, 7. Dezember 2009

Aus nächster Nähe

... durfte ein junger Mann in Berlin vorgestern nacht erfahren, was man lieber bleibenlassen sollte, wenn einem die eigene Gesundheit am Herzen liegt.

Wie die BZ schreibt, vergnügen sich der tatverdächtige 19jährige Yassin G. und seine vier Freunde mit einer Flasche Whisky in einer öffentlichen Grünanlage. Dort hält sich gleichzeitig ein Zivilfahnder der Berliner Polizei auf, der etwas entfernt von seinen Teamkollegen einen Parkplatz überwacht.

Yassin G. fühlt sich durch die Blicke des Beamten provoziert und beschließt gemeinsam mit seinen Freunden, diesen zu verprügeln. Die Gruppe greift den Beamten unvermittelt an, schlägt und tritt massiv auf ihn ein. Der Beamte kassiert schwere Treffer gegen Kopf und Körper und wird von Yassin G. in den Schwitzkasten genommen. Daraufhin zieht er seine Dienstwaffe, gibt zunächst einen Warnschuß ab und schießt Yassin G. anschließend in den Unterschenkel. Die Täter flüchten in Panik und können wenig später in Tatortnähe festgenommen werden.

Dieses Ereignis hat mich zuerst etwas überrascht. Nicht weil die Reaktion des Polizeibeamten auf den Angriff unverständlich gewesen wäre, sondern weil die Polizei in Deutschland insgesamt sehr zurückhaltend von der Schußwaffe Gebrauch macht. Im Rahmen meiner Tätigkeit als polizeilicher Schießausbilder spreche ich regelmäßig mit den Kollegen, die zu mir ins Training kommen, über ihre eigenen Einsätze, und dabei kommen immer wieder Geschichten zum Vorschein, zu denen man im Grunde nur sagen kann: "Da hättest du aus rechtlicher Sicht schießen dürfen und es auch aus taktischer Sicht tun sollen."

Die Scheu, die eigene Schußwaffe gegen einen Täter einzusetzen und anschließend die juristischen und persönlichen Folgen tragen zu müssen, ist derart groß, daß etliche Kollegen im Zweifelsfall lieber nicht schießen und den Ausgang des Einsatzes ihrem Schutzengel überlassen.

Dabei wird zumindest die juristische Seite der Angelegenheit regelmäßig deutlich kritischer wahrgenommen, als sie tatsächlich eigentlich ist. Die große Masse der aufgrund eines Schußwaffengebrauchs der Polizei eingeleiteten Ermittlungsverfahren wird bereits durch die Staatsanwaltschaft eingestellt. Insgesamt endet nur ca. 1% aller Verfahren mit einer Verurteilung des Beamten. Daraus ergibt sich, daß in der Masse der Fälle, nämlich bei denjenigen Fällen, in denen der Schütze nach normalem Rechtsempfinden und gesundem Menschenverstand gehandelt hat, das Risiko nachteiliger juristischer Folgen äußert gering ist.

Die Hemmschwelle, die eigene Schußwaffe einzusetzen, ist also derart hoch, daß die Entscheidung zum Schußwaffengebrauch von den meisten Kollegen erst dann getroffen wird, wenn sie sich in massiver Lebensgefahr wähnen (im Regelfall durch einen Angriff mit einem gefährlichen Gegenstand). Dabei wird die Gefährlichkeit von bestimmten Situationen und Handlungen oft massiv unterschätzt. Ein mir bekannter Kollege (ebenfalls Schießtrainer) mit einer zweistelligen Anzahl an Dienstjahren auf der Straße verstieg sich unlängst sogar zu der abstrusen Äußerung, ein Schußwaffengebrauch sei für ihn nur dann gerechtfertigt, wenn er mit einem "richtig großen" Messer angegriffen würde, da die Justiz von ihm ja verlange, einen Angriff mit einem "kleinen Taschenmesser" nötigenfalls mit anderen Einsatzmitteln abzuwehren.

Von dem Unsinn dieser Einstufung von Messern in "gefährlich" und "weniger gefährlich" mal ganz abgesehen, wird diese Grundhaltung der Problematik nicht wirklich gerecht. Die einschlägigen Polizeigesetze der einzelnen Bundesländer lassen nämlich regelmäßig einen (auch mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlichen) Schußwaffengebrauch gegen Personen auch zur Abwehr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit zu.

Damit bewegen wir uns aus taktischer Sicht aber auf einem Gefährdungslevel, das durchaus auch schon im Rahmen eines unbewaffneten Angriffs (z.B. durch einen körperlich erheblich überlegenen Angreifer oder mehrere gemeinschaftlich handelnde Täter) verwirklicht werden kann, und mittlerweile immer häufiger im polizeilichen Alltag auftaucht. Die diversen medial breitgetretenen Vorfälle aus den letzten Monaten und Jahren, bei denen einzelne Opfer durch mehrere (meist angetrunkene) Gewalttäter zusammengetreten und dabei teilweise schwerstverletzt oder getötet wurden, belegen, daß ein gewaltsamer Angriff mehrerer Personen auf ein einzelnes Opfer immer als eine extrem gefährliche Situation gewertet werden muß.

Insofern komme ich nach anfänglicher Überraschung über die (in meinen Augen völlig richtige und nachvollziehbare) Reaktion des Berliner Zivilbeamten zu der Ansicht, daß wir zukünftig vermutlich deutlich mehr derartige Vorfälle erleben werden. In Zeiten, in denen die Gewalt auf der Straße im Allgemeinen und gegen Polizeibeamte im Besonderen jährlich zunimmt und massive gewalttätige Übergriffe aus Gruppen heraus gegen polizeiliche Einsatzkräfte auch bei Routineeinsätzen wie Ruhestörungen oder Streitigkeiten zur Regel werden, wird sich auch bei der Polizei mittelfristig die Ansicht durchsetzen, daß der rechtzeitige Einsatz der Schußwaffe auch in solchen Fällen unter Umständen die einzige Möglichkeit ist, den Einsatz ohne eigene schwerwiegende Verletzungen zu überstehen.

Das ist unschön, und der eine oder andere kritische Leser mag mir jetzt womöglich vorwerfen, daß ich den vielgeschmähten amerikanischen Verhältnissen das Wort rede, und wir uns ja schließlich nicht in South Central L.A. befinden. Dem kann ich nur entgegnen, daß eine solche Situation ihrer Natur nach weder amerikanisch noch deutsch noch fidjianisch ist, sondern schlicht und einfach eine logische Konsequenz bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse darstellt, die sich in Deutschland schon seit Jahren ankündigen.

Montag, 26. Oktober 2009

Das Schwert der Gerechtigkeit

Unser Job bringt es mit sich, daß man regelmäßig Sachen erlebt, die andere Leute nur aus Fernsehen und Tageszeitung kennen... der spektakuläre Verkehrsunfall, der Großbrand, das blutige Beziehungsdrama, der große Raubüberfall. Was der mündige Bürger gerne mal vergißt, ist die Tatsache, daß derartige Vorfälle auch immer einen Einfluß auf die Art und Weise unseres polizeilichen Einschreitens haben.

Vor einiger Zeit mündete ein derartiger spektakulärer Vorfall darin, daß im Bereich meiner Dienststelle für etliche Tage die gesamte Belegschaft mit Mann und Maus auf der Suche nach einem flüchtigen Tatverdächtigen zweier Tötungsdelikte war.

Am späten Abend in der Samstagnachtschicht knackt plötzlich das 2m-Gerät... "Fahrt mal eben in die XYZ-Straße zur St.-Dingsbums-Gemeinde... da wird eine verdächtige Person auf dem Parkplatz gemeldet, die soll ein Samuraischwert bei sich tragen."

Mein Partner und ich schauen uns wortlos an und mir schießt sofort der Gedanke durch den Kopf, daß das eigentlich nur unser flüchtiger Täter sein kann. In seiner Wohnung (in der nun das SEK sitzt und auf ihn wartet) sind nämlich diverse Hieb- und Stichwaffen aufgefunden worden. Ich wende den Streifenwagen und wir rasen mit Blaulicht, aber ohne Martinshorn in die nahegelegene XYZ-Straße.

Am Straßenrand vor dem Gemeindehaus erwarten uns schon drei aufgeregte Jungs, die uns erzählen, die Person sei da hinten auf dem Parkplatz irgendwo zwischen den Autos. Wir fordern die Hinweisgeber auf, sich erstmal zurückzuziehen, und nähern uns vorsichtig mit gezogener Waffe dem Parkplatz. Die Gegend ist fast stockfinster und wird nur durch eine einzelne, halbkaputte Straßenlaterne notdürftig erleuchtet. Im Schein unserer Taschenlampen erkenne ich einige kreuz und quer geparkte Fahrzeuge... und plötzlich einen sich bewegenden Schatten zwischen zwei Autos.

Ich brülle "Stehenbleiben, Polizei!", während wir uns zügig der Stelle nähern. Die schemenhaft zu erkennende Person, die ich nun erkenne, denkt allerdings gar nicht daran, stehenzubleiben. Vielmehr muß ich über die Visierung meiner Waffe hinweg sehen, daß sie mitsamt ihrem Samuraischwert hinter das nächste Fahrzeug huscht und sich dort zu schaffen macht.

"Oh Scheiße", denke ich. "Entweder ist es tatsächlich der Täter und gleich geht es hier aufs Ganze, oder es ist eine Verwechslung und mein Partner nietet den Typen gleich um." Der Junge ist nämlich neu auf der Dienststelle, hat noch Rookie-Status und ist mitunter etwas nervös.

Glücklicherweise kommt die Person umgehend wieder mit leeren Händen hinter dem Auto hervor, latscht erst in aller Seelenruhe auf zwei Waffenmündungen zu und geruht dann nach nochmaligem Anbrüllen endlich, die Hände auf das nächste Autodach zu legen, wo mein Partner ihr endlich Handfesseln anlegen kann.

Als wir den Sachverhalt dann geklärt haben, muß ich zuerst böse gucken und mir dann ein Schmunzeln verkneifen. Natürlich handelt es sich bei unserem wackeren Schwertkämpfer nicht um den flüchtigen Mörder. Tatsächlich ist es der ziemlich betrunkene Hausmeister der St.-Dingsbums-Gemeinde. Und das "Schwert" ist gleichfalls keine rasiermesserscharfe Samuraiklinge, sondern entpuppt sich vielmehr als eine Gardinenstange aus Aluminium.

Die hatte der Hausmeister sich nämlich nach eigenem Bekunden gegriffen, als er vor die Tür gegangen war, um die lautstark vor dem Gemeindehaus auf- und abfahrenden Rollertuner zu disziplinieren und (Originalzitat) "ihre Geschwindigkeit zu mindern". Wie der gute Mann die Rollergeschwindigkeit mittels einer Gardinenstange mindern wollte, überlasse ich der Vorstellung des geneigten Lesers.

Der Hausmeister bekommt die verdiente Standpauke von uns und zeigt sich angemessen betroffen und kleinlaut, als ich ihm erkläre, daß er eben gerade beinahe erschossen worden wäre. Bevor wir den Schauplatz des Geschehens wieder verlassen, frage ich ihn, warum er nicht einfach 110 gerufen habe, um das Problem mit den Rollertunern zu lösen. Seine Antwort ist leicht genuschelt und etwas schwer zu verstehen. aber ich kann gerade noch so die Worte "... blabla... christliche Nächstenliebe... murmel" ausmachen.

Nun ja. Wahrscheinlich sollte sich der gute Mann lieber mal ein paar Gedanken darüber machen, daß er am heutigen Abend beinahe ein Opfer des alten Grundsatzes "Bittet und es wird euch gegeben werden" geworden wäre. Denn mein Partner und ich legen durchaus gesteigerten Wert darauf, nach Schichtende heil wieder nach Hause zu kommen.

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Stupid is...

... as stupid does. Da hilft mitunter auch athletische Begabung nichts. Neulich nacht rolle ich mit meinem Streifenwagen langsam auf eine grüne Ampel zu, als sich ein Grüppchen Feierlustiger dem Fußgängerüberweg nähert. Alle besitzen die Geistesgegenwart, vor der roten Fußgängerampel doch lieber stehenzubleiben... bis auf einen von ihnen, der weiterläuft und uns freundlich anlächelt.

Als ich angehalten habe und wir ausgestiegen sind, ist der mündige Bürger natürlich schon um die nächste Ecke verschwunden und wie vom Erdboden verschluckt. Dafür finden wir drei Schritte weiter auf dem Fußweg einen Personalausweis, dessen Foto tatsächlich eine vage Ähnlichkeit mit unserem frohgemuten Spaziergänger aufweist.

Ich stecke den Ausweis ein und wir fahren noch einmal um den Block, ohne unseren Wandervogel zu sehen. Stattdessen werden wir aber umgehend von einem weiteren mündigen Bürger angesprochen, der gerne einen Diebstahl anzeigen möchte. Während mein Partner seine Personalien aufnimmt, sehe ich aus den Augenwinkeln doch tatsächlich, daß sich der Rotlichtfan an der nächsten Ecke rumdrückt, scheel zu uns herüberguckt und sich augenscheinlich im unklaren darüber ist, wie er seinen Ausweis wiederbekommt, ohne sich ein Ticket einzuhandeln.

Ich gehe zu ihm hinüber und er verschwindet erwartungsgemäß wieder hinter der Ecke wie ein Schachtelteufelchen. Das ficht mich aber nicht an, denn meine in langen Jahren in der Wildnis am Amazonas erlangten Fähigkeiten als Fährtensucher führen mich direkt zu seinem Versteck. Oder ist es doch einfach nur das bestiefelte Bein, das ich aus dem Buschwerk der Rabatte ragen sehe?

Wie auch immer, Schachtelteufelchen krabbelt leicht zerknittert aus der Vegetation und gesteht zerknirscht und ziemlich besoffen seine Sünde ein. Anschließend nimmt er einen größeren Kredit bei seinen gleichfalls hackenvollen Kumpels auf (welche bereits ein Gelächter von homerischem Kaliber angestimmt haben und ihn mit liebevollen Kosenamen wie "Du Vollidiot" bedenken), bezahlt sein Ticket bei mir und bedankt sich artig für die Wiederbeschaffung seines Ausweises.

Merke: zum perfekten Verbrechen gehört, am Tatort nix liegen zu lassen. Insbesondere keinen Ausweis. Auch dann nicht, wenn er schon abgelaufen ist und du das Paßbild noch nie mochtest. Und auch wenn das für dich damals in der Krabbelgruppe immer sehr plausibel war: daß du niemanden siehst, weil du deinen Kopf sonstwohin gesteckt hast, bedeutet nicht, daß dich niemand sieht.

Nun ja. Ich bin noch etwas unschlüssig, ob wir regelmäßig nur die Deppen schnappen, oder ob einfach die meisten Leute, mit denen wir uns beschäftigen dürfen, die Intelligenz eines minderbegabten Badeschwammes besitzen. Weitere Feldforschung ist insofern angebracht.

Sonntag, 30. August 2009

Schwarzer Peter

Es ist wieder mal Samstag und ich habe Nachtdienst. Grundsätzlich ist das eine tolle Sache, denn Wochenendnachtdienste gestalten sich in aller Regel erlebnisreich und ohne viel Langeweile. Der mündige Bürger, der die gesamte Woche über im Schweiße seines Angesichts mit Drogen gehandelt, Einzelhandelsgeschäfte aufgebrochen, Autos geknackt, kostenneutrale Einkäufe im Supermarkt getätigt oder einfach auf seine Hartz-IV-Mäuse gewartet hat, will nun nämlich ordentlich einen draufmachen und sich von den Strapazen seines Erwerbslebens erholen (was überwiegend durch Konsum größerer Mengen Billig-Sprit erfolgt).

Leider bringt das neben viel Entertainment für den aufgeschlossenen Schutzmann auch mitunter unappetitliche Begleiterscheinungen in Form von Schnapsleichen mit komplettem Kontrollverlust über ihre Körperfunktionen mit sich.

Und so meldet ein besorgter Spaziergänger auch dieses Mal wieder eine hilflose Person neben der "Lagune". Die "Lagune" ist unser prominentester Sozialblock-Schnapsbunker und Treffpunkt der gesamten Ghettoprominenz der Stadt. Das Los trifft natürlich uns, und mein Streifenpartner ergötzt sich während der gesamten Anfahrt an der Vorstellung, jemand könnte allen Ernstes an einem Sonntagmorgen um vier neben der "Lagune" spazierengehen.

Als wir ankommen, sehen wir schon von weitem die üblichen Stammgäste auf der Terrasse herumlungern. Das Corpus delicti sitzt zusammengesunken auf einem Stuhl und wird von einer eher verlebt aussehenden Dame zärtlich im Arm gehalten.

"Ist er das?" fragt mein Partner, worauf eine der noch stehenden Schnapsleichen leicht genervt bestätigt: "Ja, das is der Typ, den meine Freundin gerade im Arm hält..."

Au weia, der Haussegen hängt hier also auch schon schief. Ich beuge mich zu unserem Kunden herunter und frage ihn nach seinem Namen. "Brüllen Sie ihn nicht so an, ich glaube, er hat gerade etwas Vertrauen zu mir gefaßt!", empört sich die Samariterin. "Hmgrllbllööörks!" bestätigt der Kunde und läßt den Kopf wieder nach vorne auf seine vollgekotzte Jacke sacken.

"Ich glaube, er versteht unsere Sprache nicht," springt eine zweite versiffte Alkoholikerin in die Bresche. "Duh juh spiehk Englisch?" Mein Partner und ich sehen uns an und müssen beide um unsere Fassung ringen. "Abwwwhglmpff... *rörks*", stellt der Kunde fest. "Sehen Sie, jetzt versteht er uns!", jubelt die Samariterin, die anscheinend auch ihre Sprachkenntnisse unter Beweis stellen möchte. "Wott is juhr näim?"

"Ey, ruf isch Taxi, kann deine Freundin ihn mit nach Hause nehm", schlägt der anatolische Wirt der "Lagune" vor, was den Freund der Samariterin zu lautstarkem Protest veranlaßt.

Ich verliere nunmehr vollends meine Contenance und breche in schallendes Gelächter aus. Dies bewegt unseren Kunden augenscheinlich zu einer letzten heroischen Anstrengung. Er erhebt sich aus seinem Stuhl, sackt nach vorne und bremst abrupt und lautstark mit seiner Stirn auf der Kante des Nachbartisches.

Es knallt, die wohltätigen Damen kreischen und die Polizei grinst. "Schick uns mal bitte einen Rettungswagen," informiere ich die Leitstelle, während ich den Personalausweis aus seiner Hosentasche angele und mir den High-Five mit meinem Partner verkneife. In Gedanken probe ich schon mal das ernsthafte Gesicht, das ich gegenüber den Sanis machen werde. Damit sind wir jedenfalls aus der Nummer raus und müssen das auswurfverzierte Etwas nicht in unseren Streifenwagen wuchten. Wunschgemäß verfrachtet die RTW-Besatzung ihn dann auch gleich ins Krankenhaus und verordnet ihm alles, was die moderne Heilkunde an Scans und Dingsbumsgraphien zu bieten hat.

Inzwischen ist die gute Laune wieder in der "Lagune" eingekehrt, die Samariterin hat ihre Sorgen vergessen, die Runden Billig-Pils werden fleißig ausgeschenkt und wir sind auf dem Weg zum nächsten Einsatz. Immerhin ist Monatsanfang, und es ist noch ordentlich was von der Stütze übrig.

Ob sich unser Kunde (der natürlich ein deutscher Eingeborener ist) über die freundliche Behandlung gefreut hat, ist nicht verbürgt. Aber ich werde ihn fragen, wenn ich ihn im nächsten Wochenendnachtdienst wiedersehe. Ob er mir dann antworten können wird, ist eine andere Frage...

Mittwoch, 26. August 2009

Rüstungsfragen

Der geneigte Leser wird sich sicherlich noch an die Zeiten erinnern, als er in der Schule klassische mittelhochdeutsche Dichtung büffeln durfte... namentlich das Nibelungenlied. Wie die Sage berichtet (und unzählige, mehr oder weniger kitschige Theaterstücke, Opern und Filme nachplappern), erlangte Siegfried von Xanthen Unverwundbarkeit, indem er im Blut des von ihm erschlagenen Drachen badete... bis auf eine kleine Stelle auf dem Rücken, die beim Baden versehentlich von einem Blatt bedeckt worden war. Durch Kenntnis dieser Schwachstelle konnte sein Rivale Hagen von Tronje ihn schließlich hinterrücks umbringen.

Vermutlich dürfte sich dieser Kollege im Nachhinein auch gewünscht haben, über so eine legendäre Gabe zu verfügen. Dann wäre ihm nämlich ein lebensbedrohlicher Brustdurchschuß erspart geblieben. Da wir uns nun nicht in mythischer Vorgeschichte, sondern im Deutschland des 21. Jahrhunderts befinden, ist dieser Wunsch natürlich illusorisch.

Überhaupt nicht illusorisch ist dagegen die Idee, doch einfach mal die Schutzweste anzuziehen. Das ist zwar längst nicht so toll wie eine unverwundbare Drachenbluthaut, hat aber den Vorteil, daß sie zumindest für die meisten Polizeibeamten vorhanden ist.

Tatsächlich tun dies aber viele Kollegen nicht bzw. nur gelegentlich, weil die Bequemlichkeit dann - wie so oft - doch die Oberhand über taktische Erwägungen gewinnt. Das ist ein völlig inakzeptabler Zustand. Natürlich ist es im Sommer bei warmen Temperaturen unbequem, unter einer Unterziehschutzweste zu schwitzen. Ich wage aber mal die Prognose, daß eine Schußverletzung im Brustkorb noch deutlich unbequemer ist.

Und wie der oben zitierte Vorfall (wieder einmal) zeigt, kommt sowas trotz allem Schöngerede darüber, wie sicher Deutschland ist, immer mal wieder vor. Auch wenn wir keine Thronfolgestreitigkeiten am burgundischen Königshof mehr ausfechten. Es genügt schon eine häusliche Gewalt, ein Raubüberfall, ein Einbrecher auf frischer Tat oder einer der tausend anderen Routineeinsätze, die jeder von uns regelmäßig hat und die womöglich beim tausendundersten Mal schiefgehen.

Leider herrscht im Kollegenkreis bei vielen Leuten nach wie vor die potentiell tödliche Einstellung "Mir wird das schon nicht passieren" vor, und die Weste wird entweder überhaupt nicht oder nur im Nachtdienst angezogen. Anscheinend muß man manche Leute tatsächlich zu ihrem Glück zwingen. In diesem Sinne wünsche ich mir deswegen, daß der Dienstherr ein einziges Mal gesunden Menschenverstand zeigt und eine generelle Trageverpflichtung für die Schutzweste verfügt, die konsequent (und ggf. mit Sanktionen) durchgesetzt wird.

Ich habe es nämlich satt, von meinen Kollegen immer wieder zu hören: "Wieso, ist doch meine Sache." Nein, mein Freund, das ist es eben nicht. Wenn wir zusammen auf dem Funkwagen sitzen, ist es UNSERE Sache, denn wenn du zusammengeschossen wirst, kannst du mir nicht mehr den Rücken freihalten. Und ich habe keinerlei Bedürfnis danach, daß deine Sorglosigkeit irgendwann mal mein Ticket in die ewigen Jagdgründe wird.

Allerdings kann man die Schuld für diese Zustände nicht komplett den Kollegen selbst in die Schuhe schieben. Es gibt nämlich auch heute immer noch Polizeibeamte, die von ihrem Arbeitgeber 1.) nicht mit einer persönlich zugewiesenen Schutzweste ausgestattet worden sind, und 2.) aufgrund ihrer sehr großen oder sehr kleinen Größe auch keine Weste aus den Dienststellenpools benutzen können.

Diese Kolleginnen und Kollegen fahren jeden Tag und jede Nacht zu riskanten Einsätzen, während sie über Monate und Jahre hinweg darauf warten, daß das Budget der Behörde mal wieder die Beschaffung von weiteren Westen zuläßt. Als Beispiel für die sprichwörtliche Nibelungentreue kann man dieses unsäglich verantwortungslose Verhalten des Dienstherrn wohl kaum bezeichnen.

Sonntag, 16. August 2009

Leibesertüchtigung

... ist eine sehr wichtige Sache für den Polizeibeamten. Findet zumindest der mündige, steuerzahlende Bürger. Denn die Polizeibeamten müssen ja regelmäßig flüchtenden Straftätern hinterherlaufen und sich mit selbigen prügeln. Das weiß er, weil er aufmerksam die polizeilichen Pressemeldungen in der Lokalzeitung verfolgt. Und außerdem war da ja neulich was im Radio, daß die Gewalt gegen Polizeibeamte auf Deutschlands Straßen immer mehr zunimmt.

Der Steuerzahler geht also grundsätzlich erstmal davon aus, daß bei der Polizei viel Wert auf Fitness gelegt und ordentlich Sport getrieben wird. In der Firma, in der der Steuerzahler arbeitet, legt der Chef ja schließlich auch gesteigerten Wert darauf, daß alle Mitarbeiter umfassend für ihren Job qualifiziert sind. Außerdem studiert der Neffe seines Schwagers gerade an der Polizeiakademie, und der hat neulich erst irgendwas von Sportleistungsabnahmen erzählt.

Im Interesse ihres eigenen Ansehens sollte die Polizeiführung meines Bundeslandes lieber hoffen, daß unser Bürger nicht so bald näheren Kontakt zu einem "fertigen" Polizeibeamten bekommt. Ansonsten bestünde nämlich die Gefahr, daß er mitbekommt, wie es um den Sport in der Polizei nach Ende der Ausbildung tatsächlich bestellt ist. Er wäre bestimmt enttäuscht, wenn er erfährt, daß die Beamten, die er immer im Streifenwagen durch seine Heimatstadt fahren sieht, sich mitnichten jede Woche beim Dienstsport fithalten.

Stattdessen müßte er hören, daß die Anzahl der Stunden, die pro Monat für den Dienstsport vorgesehen sind, deutlich im unteren einstelligen Bereich liegen, und daß sich das Angebot in vielen Dienststellen auf die Klassiker "Lauftreff" und "Fußball" beschränkt. Weiterhin müßte er feststellen, daß zwar theoretisch vorgeschrieben ist, daß jeder Polizeibeamte jedes Jahr einen Sportleitungsnachweis (z.B. durch EPLA*, das deutsche Sportabzeichen oder einen kombinierten Fitnesstest) zu erbringen hat, daß dies aber in den allermeisten Dienststellen nicht mal ansatzweise durchgesetzt wird.

Nun mag unser Bürger mutmaßen, daß dann doch sicherlich die außerdienstliche Sportausübung der Polizeibeamten durch den Dienstherrn gefördert werden wird. Zumindest werde ich beim Training immer von meinen Bekannten gefragt, ob ich Zuschüsse für die Mitgliedsbeiträge bekomme. Pustekuchen, Herr Steuerzahler. Meine Behörde genehmigt großzügigerweise die Veranschlagung von zwei Stunden Arbeitszeit pro Monat für das außerdienstliche Betreiben von Sport, und das wars. Ach ja, die Stunden bekommt man nur, wenn der Sport unmittelbar vor oder nach dem Dienst betrieben wird, was bei den gängigen Vereinstrainingszeiten am frühen Abend ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Insofern besteht die einzige Förderung, in deren Genuß der außerdienstlich trainierende Polizist bei uns kommen kann, in der Gewährung von Dienstunfallschutz für die Sportausübung. Obwohl das eigentlich nur halb stimmt. Tatsächlich gibt es Dienstunfallschutz nur für einen begrenzten Katalog an etablierten Vereinssportarten. Sobald es etwas exotischer wird, lehnt der Dienstherr das kategorisch ab... nicht wegen irgendwelchen vermuteten Gefährlichkeiten, sondern weil die genehmigungsfähigen Sportarten abschließend aufgezählt sind und mein Bundesland zu bürokratisch, zu unflexibel und vermutlich zu geizig ist, um das zu ändern. Das führt zu der abstrusen Situation, daß ich zwar Dienstunfallschutz für höchst polizeirelevante Sportarten wie Kegeln oder Basketball bekommen kann, aber nicht für MMA, Escrima oder Thaiboxen.

Insofern muß der Ist-Zustand wie folgt beschrieben werden: der Polizeibeamte meines Bundeslandes, der sich die für die Berufsausübung notwendige Fitness erhalten (und damit seiner beamtenrechtlich vorgeschriebenen Pflicht zur vollen Hingabe zum Beruf nachkommen) möchte, muß dies in aller Regel a) außerdienstlich ohne Vergütung, b) auf eigene Kosten und c) je nach Sportart vielfach auf eigenes gesundheitliches Risiko tun. Was die Folge dieses Sachstandes ist, braucht wohl nicht weiter erläutert zu werden.

Dabei gibt es anderswo einschlägige Gegenbeispiele. Da ist mir doch neulich zu Ohren gekommen, daß eine Polizeibehörde in einem anderen Bundesland zusammen mit einigen anderen Behörden und Firmen einen Betriebssportrahmenvertrag mit einem großen Fitness-Studio abgeschlossen hat, der es allen Bediensteten erlaubt, dort für die spottbillige Selbstbeteiligung von 6,- (in Worten: sechs) Euro im Monat zu trainieren. Das ist diejenige Förderung, die ich mir von einer verantwortungsbewußten und mitdenkenden Behördenleitung wünschen würde... aber vermutlich wird das bei uns auch weiterhin illusorisch bleiben.

Wir wollen also im Interesse des unangekratzten Images unserer (polizeilichen und politischen) Führung hoffen, daß unser eingangs erwähnter Steuerzahler diesen Blödsinn nicht mitbekommt. Ansonsten könnte er nämlich mit einer gewissen Berechtigung die Frage aufwerfen, wofür er denn eigentlich soviel Steuern bezahlt, wenn die aus den besagten Steuergeldern bezahlten Ordnungshüter nicht einmal die Möglichkeit bekommen, sich für ihren Job fitzuhalten.

*EPLA = Europäisches Polizei-Leistungsabzeichen (Laufen, Schwimmen, Schießen)

Samstag, 15. August 2009

Schuldbewußt

Betrunkene Leute sind unzurechnungsfähig und bauen mit schöner Regelmäßigkeit kapitalen Mist. Diese Grundwahrheit kennt jeder, der im Blaulichtmilieu seine Brötchen verdient... Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst, und ebenso alle Securities und Gastronomen.

Nun kann ich es nachvollziehen, daß man im Zustand gesteigerter Lebensfreude mitunter impulsive Sachen sagt und tut, die man eigentlich gar nicht so meint und im nüchternen Zustand nie tun würde. Ich verstehe allerdings trotz ganz erheblicher geistiger Anstrengung meinerseits nach wie vor nicht, warum derart viele Besoffene darauf bestehen, Dinge zu tun, bei denen jeder normale Mensch sofort sagen würde, "Das kann nie im Leben gutgehen", obwohl ich ihnen mit Engelsgeduld eine halbe Stunde lang erklärt habe, was die Konsequenzen für sie sein werden.

Besonders augenfällig wird das immer wieder bei Ruhestörungseinsätzen. Der Nachbar ruft an und beschwert sich über massiven Lärm zu nachtschlafender Zeit, worauf die Funkstreife vorfährt, den Verursacher höflich zur Ruhe ermahnt und für den Fall der Nichtbefolgung unangenehme Konsequenzen wie die Auflösung der Party und die Mitnahme der Stereoanlage in ausführlicher Weise androht.

Anstatt das nun aber als rechtzeitigen Fingerzeig zu nehmen, daß die Zeit für lautstarkes Feiern jetzt vorbei ist, scheint ein erheblicher Teil unserer "Kunden" dies als Aufforderung zu einem Wettkampf mit dem Inhalt "Wetten, daß ich die Musik wieder auf volle Lautstärke stellen kann, bevor ihr hundert Meter weit weg seid?" zu interpretieren.

Wüste Worte fallen, die man am besten mit "Das ist mein Haus, und hier könnt ihr blöden Bullen mir gar nix!" zusammenfassen können. Tun wir aber doch. Und nachdem augenscheinlich keine Besserung in Sicht ist, hingegen aber einschlägige Drohungen gegen die strukturelle Integrität meiner Schädeldecke ausgesprochen (bzw. gelallt) werden, tritt der Verursacher eine kurze Flugreise Richtung Boden an, bekommt eine kostenpflichtige Fahrt im blau-silbernen Taxi zur Dienststelle und eine Unterbringung in der Präsidentensuite bis zur Ausnüchterung.

Nun sollte man meinen, daß dann am nächsten Morgen der große Katzenjammer und die Einsicht in die eigene Dummheit einsetzt. Weit gefehlt, es gibt nur scheele Blicke und ein gemurmeltes "Warte ab, wir sehen uns noch mal privat..."

Dabei geht es doch auch anders. Der mündige Verkehrsteilnehmer ist nicht angegurtet, kommt dem Anhaltezeichen mit der Kelle nicht nach und verhält sich nach Antreffen an der Wohnanschrift derart rotzfrech und aggressiv, daß er um Haaresbreite in Handschellen auf dem Boden landet. Der Schutzmann schreibt ein Ticket, man raunzt sich gegenseitig an und trennt sich in unschöner Stimmung. Keine fünf Minuten später springen mir jedoch beinahe die Augen aus dem Kopf... unser Kunde hat soeben auf der Dienststelle angerufen, sich wortreich für sein unverschämtes Benehmen entschuldigt (das er nur wegen hohem beruflichem Streß an den Tag gelegt habe) und erklärt, er verdiene das Ticket voll und ganz.

Sowas habe ich in meiner bisherigen beruflichen Karriere nur einmal erlebt... es mag allerdings auch daran gelegen haben, daß der gute Mann stocknüchtern war.

Disclaimer: natürlich gibt es Momente, in denen es Entschuldigungen geradezu hagelt. In aller Regel passiert das, kurz bevor die Hauptverhandlung des Strafverfahrens beginnt... wenn der Anwalt seinem Mandanten rät, vor dem Urteilsspruch doch langsam mal lieber einen guten Eindruck zu machen.

Donnerstag, 13. August 2009

Ferien

Die Sommerferien sind vorbei... und man merkt es deutlich an der abnehmenden Anzahl der Einsätze. Anscheinend gibt es bei uns in der Gegend genügend erlebnisorientierte Jugendliche, die nicht etwa verreisen, sondern ihre schulfreie Zeit lieber damit verbringen, sich sinnlos die Kante zu geben, lattenstramm auf der Straße rumzuliegen oder sich nächtlichen Abenteuerspielen hinzugeben, die eine "Schatzsuche" in fremden Immobilien beinhalten.

So sehr ich es selber früher geschätzt habe, mich wochenlang bei warmem Sommerwetter nur dem süßen Nichtstun hinzugeben, frage ich mich doch trotzdem langsam, ob unsere vormaligen östlichen Nachbarn nicht damals mit ihrer Ferienlagerverschickung doch eine ganz brauchbare Idee hatten. Andererseits haben wir seinerzeit unsere Ferien auch nicht darauf verwendet, in die Schule zu gehen... nachts durchs Dachfenster.

Wie dem auch sei, solange uns die bundesdeutsche Gerichtsbarkeit auch weiterhin so zur Seite steht wie bisher, müssen wir uns auch nach Ferienende keine Sorgen um unsere Beschäftigung machen. Nehmen wir mal an, in einer hypothetischen mittelgroßen Stadt ereignet sich eine Serie von Einbrüchen in Arztpraxen. Die beiden hypothetischen Täter werden irgendwann erwischt und geben freimütig zu, bislang schon etwa dreißig (!!) Arztpraxen abgearbeitet zu haben.

Nun mag der geneigte Leser vermuten, daß die beiden Herren doch nun bestimmt in U-Haft wandern. Weit gefehlt... tatsächlich werden sie nach Ende der Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt und der hypothetische Schutzmann ärgert sich.

Das ist nun aber noch lange nicht das Ende des Dramas. Tatsächlich gehen die Einbrüche weiter, und einer der beiden wird wenige Tage später wieder auf frischer Tat erwischt, nachdem er erfolglos versucht hat, in zwei weitere hypothetische Arztpraxen einzubrechen. Und weil sich die Lebensumstände des hypothetischen Beschuldigten in den vergangenen Tagen nicht wirklich geändert haben, wird auch weiterhin entschieden, daß wohl keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr besteht und somit kein Haftgrund vorliegt.

"Aber da gibts doch noch sowas wie Wiederholungsgefahr", wirft der interessierte Laie ein. "Pustekuchen", sagt Justitia... solange der Täter nicht auf eine Verurteilung wegen desselben Delikts in den vergangenen zwölf Monaten zurückblicken kann, liegt auch keine Wiederholungsgefahr im Sinne der Strafprozeßordnung vor.

Auf Deutsch gesagt, solange unser hypothetischer Freund nicht unlängst wegen eines Einbruchs in eine Arztpraxis (nicht etwa in einen Kiosk, ein Autohaus oder einen Gemischtwarenladen) verknackt worden ist, darf er weitermachen, bis irgendwann mal die Zeit reif für die Hauptverhandlung ist und ein Urteil gesprochen wird. Wann das sein wird, ist schwer zu sagen... in Arztpraxen ausgedrückt, tippe ich auf eine dreistellige Zahl.

Dienstag, 14. April 2009

Mensch gegen Maschine

Fahrradfahrer sind eine seltsame Spezies. Tag- und nachtaktiv und mit einem lautlosen Gang gesegnet, bewegen sie sich in ihrem natürlichen Lebensraum, den innerstädtischen Verkehrswegen, oftmals auf höchst konspirative Art und Weise. Unverhofft bricht ein Rudel zwischen den geparkten PKWs hervor. überquert die Fahrbahn und verschwindet schon wieder hinter der nächsten Ecke - auf der Fährte eines Döners, eines Sechserträgers oder einiger paarungsbereiter Artgenossen.

Viele von ihnen sind bekanntlich nachts regelmäßig ohne Beleuchtung unterwegs. Manche Kollegen begnügen sich in diesem Fall mit einem herzlichen, aus dem Seitenfenster herausgebrüllten "EY! Licht an oder Schieben!", während andere (darunter meine Wenigkeit) sich auch regelmäßig die Mühe machen, auszusteigen und dem lichtscheuen Verkehrsteilnehmer ein Knöllchen zu schreiben.

Die Reaktionen beim betroffenen Radfahrer sind... nun ja, gemischt. Während die meisten das Ticket kommentarlos bis schuldbewußt zur Kenntnis nehmen und bezahlen, gibt es auch immer wieder solche, die ihrem Unmut Luft machen. Unangefochten auf Platz 1 der Ausreden-Hitliste steht "Herr Wachtmeister, ich schwöre, mir ham se das Licht eben gerade erst am Bahnhof kaputtgemacht/geklaut!"

Leute, wenn ich die Zahlen, die mir begegnen, mal überschlagsweise zusammenrechne, komme ich zu dem Schluß, daß es in meiner Stadt eine Firma mit mindestens 100 Beschäftigten geben muß, die allesamt 40 Stunden die Woche im Akkord daran mitarbeiten, die Lampen von sämtlichen am Bahnhof abgestellten Fahrrädern abzutreten. Anders kann ich mir dieses Ausmaß beim besten Willen nicht vorstellen. Im Ernst, ein einfaches "Tut mir leid, hab ich vergessen zu reparieren" tuts auch und beleidigt nicht meine und eure Intelligenz.

Gerne genommen wird auch immer wieder "Haben Sie nichts besseres zu tun? Ist ja wieder mal klar, die ganzen Kinderschänder/Mafiosi/Drogendealer/kriminellen Ausländerstraßengangs/Nazis lassen Sie einfach links liegen, und ich armer Steuerzahler/Deutscher/Migrant muß für so eine Lappalie blechen!" Der freundliche Hinweis, daß die Anzahl der im Moment an diesem Ort befindlichen Kinderschänder, Drogenmafiosi und Nazis ziemlich entschieden gegen Null strebt, und daß überdies kein einziger Cent des Geldes in meine Tasche oder die meiner Dienststelle fließt, trägt meistens nicht zum Verständnisgewinn beim Gegenüber bei.

Lieber abgezockter Fahrradfahrer, gefrusteter Verkehrsteilnehmer oder sonstiger verärgerter Bürger, ich möchte deine Aufmerksamkeit aus gegebenem Anlaß mal auf einen klitzekleinen, direkt vor deiner Nase liegenden Aspekt des Themas richten. Ich schreibe diese Tickets nicht, weil ich so einen Spaß daran habe, andauernd auszusteigen und diese Diskussionen mit dir zu führen. Tatsächlich mache ich es deswegen, weil ich dir damit einen Gefallen tue.

Das ist blödes Gerede, sagst du? Womöglich. Ich würde zur Klärung dieser Angelegenheit sinnvollerweise mal jemanden befragen, der es wissen dürfte, nämlich den Radfahrer, dessen Verkehrsunfall wir neulich aufnehmen durften... nachdem er unbeleuchtet vor einen Vierzigtonner gefahren war. Unglücklicherweise kann er uns momentan nicht sagen, ob er stattdessen nicht vielleicht lieber ein Knöllchen und eine Aufforderung zum Schieben des Fahrrads gehabt hätte, weil er im Koma liegt.

Montag, 13. April 2009

Superman

... gibt es tatsächlich. Doch, wirklich. Ich habe ihn neulich selbst getroffen. Na ja, zumindest hielt der Betreffende sich offensichtlich für selbigen. Daß er nicht dessen übermenschliche körperliche Fähigkeiten besitzt, war dann natürlich eine unschöne Überraschung für ihn.

Alles fängt damit an, daß mein Partner und ich zu einer Streitigkeit in einem Sozialwohnungsblock fahren. An der Wohnungstür empfängt uns bereits der Bewohner und erklärt uns, er habe gerade Streß mit seinem Gast gehabt, und habe ihm deswegen leider was an die Ohren hauen müssen, weil dieser vollkommen durchdrehen würde. Ich gehe also ins Wohnzimmer, wo ich den besagten Gast erblicke, der in Unterwäsche mit seiner Freundin auf dem Sofa sitzt.

Kaum sieht mich der junge Mann, bekommt er auf einmal riesengroße panische Augen, springt auf und rennt auf den Balkon. Als ich dort ankomme, sehe ich nur noch, wie er sich gerade über die Brüstung schwingt. Dann sind da - wie in einem schlechten Film - zwei Reihen Finger auf der Brüstung... und auf einmal sind sie weg. Eine Sekunde später ist von unten ein dumpfer Aufprall zu hören. Ich schließe daraus, daß die Superman-Nummer ganz augenscheinlich in die Hose gegangen ist, und leuchte mit meiner Taschenlampe nach unten. Im Lichtkegel sehe ich, wie sich das verhinderte Flieger-As sieben Meter weiter unten auf dem Rasen windet und dabei lauthals jammert.

Ich fordere über Funk einen Rettungswagen an, und während noch ich spreche, rappelt sich Superman plötzlich auf und humpelt weiterhin fluchend und jammernd über die Wiese davon. Nun ja, zwanzig Meter weiter hat mein Partner (der schon mal nach unten geflitzt ist, als er den Alarmstart unseres Nachwuchspiloten
sieht) ihn dann eingefangen. Wie nicht anders zu erwarten war, hat unser Kunde einer fröhlichen Mischung aus Alkohol, Gras und Kokain fleißig zugesprochen und ist uns darüberhinaus als ohnehin nicht ganz dicht bekannt.

Überraschend ist hingegen die Tatsache, daß er sich nichts bei seinem Stunt getan hat. Der Rettungswagen bringt ihn ins Krankenhaus, das er nach einer Stunde zwar nicht ganz nüchtern, aber auf eigenen Beinen wieder verläßt.

Ach ja, warum er diesen Versuch einer fliegerischen Höchstleistung unternommen hat, wissen wir immer noch nicht, denn er ist weder Beschuldigter noch hat er irgendwelche Dinge dabei, die er nicht hätte haben dürfen. Macht aber nichts, er weiß es nämlich vermutlich selber nicht. Zumindest erscheint er einige Stunden später auf der Dienststelle und fragt den Chef der Frühschicht, was denn heute nacht eigentlich losgewesen wäre, er habe da eine ziemlich lange Erinnerungslücke...

Freitag, 27. März 2009

Lebenszeichen

Ja, liebe Leser, ich erfreue mich noch bester Gesundheit, bin nach wie vor des Lesens und Schreibens mächtig und habe auch mein Login bei Blogspot nicht verlegt. Der Grund für meine diesjährige Funkstille ist lediglich, daß ich mich in den letzten Wochen und Monaten wieder Hals über Kopf ins Training gestürzt habe. Neues Gym, neue Motivation, neue Trainingspartner und viele neue Lektionen zu lernen... alles läuft prima.

Nachdem ich letztes Jahr mit der Gestaltung meines eigenen Trainings irgendwann deutlich unzufrieden war und dann mein sonstiges Privatleben auch noch einige Achterbahnfahrten drehte, bin ich inzwischen endlich wieder an einem Punkt angekommen, an dem ich meinen Antrieb wiedergefunden habe. Ich habe mich etwas umorientiert und die Ausrichtung meines Trainings konsequent an einige Erkenntnisse angepaßt, die ich in den letzten ein, zwei Jahren gewonnen habe. Dabei hatte ich das Glück, einige hervorragende neue Trainingsmöglichkeiten aufzutun, die sich bestens mit meinem Dienstplan vertragen.

Wie ein bekannter amerikanischer Einsatztrainer mal gesagt hat... "You gotta do the work", du mußt die Arbeit leisten, von nichts kommt nichts, und genau das habe ich mir selbst mal wieder nachdrücklich ins Stammbuch geschrieben. Mittlerweile bin ich praktisch jeden Tag auf der Matte oder an den Gewichten, mitunter auch zweimal täglich. Ich sparre und rolle etliche Male pro Woche mit wirklich guten Leuten und merke jedes Mal wieder, wie lehrreich und produktiv das ist.

In diesem Sinne... ich werde versuchen, meine Leserschaft nicht zu vernachlässigen und sie zukünftig wieder öfter mit lustigen Geschichten und kritischen Überlegungen aus der bunten, weiten Welt der Polizei zu bedenken. Versprochen.

Donnerstag, 22. Januar 2009

Der unsägliche "Deutschuß"

Beim heutigen Schießtraining mußte ich (wieder einmal) bei einem gerade erst frisch aus dem Studium gekommenen Kollegen eine Schwäche feststellen, die ich in ähnlicher Form schon bei vielen "Frischlingen" bemerkt habe, die erst in den letzten Jahren ihre Ausbildung absolviert haben. Besagte Schwäche manifestiert sich regelmäßig darin, daß der betreffende Schütze bei Übungen (auch ohne Zeitlimit) auf Distanzen unterhalb von zehn Metern ziemlich schnell und anscheinend ziemlich ungezielt in die grobe Richtung des Ziels schießt, was in der Konsequenz natürlich zu einem Trefferbild führt, das bestenfalls als suboptimal zu bezeichnen ist. Auf Deutsch gesagt, es wird wild und weitgehend techniklos in die Gegend geballert.

Als neugieriger Mensch fragte ich natürlich bei den entsprechenden Kandidaten nach, warum sie das täten. Ich bekam zur Antwort, "Na ja, ich dachte, ich soll einen Deutschuß machen..." Als ich anregte, doch einfach mal die Visierung zu benutzen und sich vielleicht ein klitzekleines bißchen mehr Zeit zu nehmen, erntete ich mehr als einmal ein verdutztes Gesicht und die Frage, "Wie, du meinst, so richtig mit zielen? Das sollten wir im Studium immer nicht machen..."

Irgendwie konnte ich mir darauf aber keinen Reim machen. Also besorgte ich mir den Lehrplan und las die entsprechenden Inhalte selber nach. Man stelle sich meine Überraschung vor, als ich las, daß laut Curriculum im Studium tatsächlich visiertes Schießen nur am Rande behandelt und stattdessen schwerpunktmäßig der "Deutschuß", also ein reaktionsschneller unvisierter Schuß trainiert werden soll. Auf Nachfrage wurde mir das damit begründet, daß ein Anwärter im Praktikum ja aus rechtlichen Gründen nur in einer Notwehrsituation schießen dürfte (also nicht zur Verhinderung einer Flucht/Gefangenenbefreiung etc.) und daß deswegen dem visierten Schuß keine wirkliche Bedeutung zukäme.

Liebe Leute, das ist sowohl aus schießtechnischer als auch aus methodisch-didaktischer Sicht furchtbarer Blödsinn.

Zum einen sind "Deutschuß" und "visierter Schuß" keine exklusiven, sich gegenseitig ausschließenden Kategorien, in die jeder einzelne Schuß irgendwie reingequetscht werden muß. Tatsächlich stellen die vollständig unvisierte, ausschließlich aus dem Körpergefühl erfolgende Schußabgabe und der präzise visierte, einen messerscharfen Fokus auf die Visiereinrichtung legende Schuß jeweils ein unterschiedliches Extrem auf einer Skala dar, zwischen denen sich eine riesige Bandbreite von Zwischentönen befindet.

Es wäre unsinnig und methodisch höchst ungünstig, aus dieser Bandbreite willkürlich zwei Punkte auszuwählen und als absolute Werte zu verkaufen. Tatsächlich muß sich die Antwort auf die Frage, wieviel Gewichtung ich auf eine präzise Visierung lege, inwieweit ich die Visiereinrichtung meiner Waffe wahrnehme und wo ich mich auf der vorgenannten Skala bewege, jeweils einzelfallabhängig daraus ergeben, wie groß mein Ziel ist, welchen Grad an Präzision ich benötige und welche Zeit ich dafür zur Verfügung habe. Diese Entscheidung ist eine Erfahrungssache und verlangt Training (das der Schütze nicht bekommt, wenn er immer auf eins der beiden Extreme festgenagelt wird). Aufgrund meiner persönlichen, im Rahmen einer Vielzahl von IPSC-Matches und etlichen FX-Trainings gesammelten Erfahrungen bin ich der Ansicht, daß ab einer Entfernung von 3m zumindest eine grobe visuelle Überprüfung der Ausrichtung der Waffe erfolgen sollte. Ab einer Entfernung von etwa 6m ist eine reproduzierbare annehmbare Präzision ohne Verwendung der Visierung für die meisten Schützen ohnehin nicht mehr möglich.

Zum anderen wird offensichtlich vollkommen übersehen, daß die Fähigkeit, einen schnellen, präzisen "Deutschuß" (ich setze diesen Begriff bewußt in Anführungszeichen, weil ich seine Verwendung aus den vorgenannten Gründen für ungünstig und mißverständlich halte) abzugeben, nicht in erster Linie dadurch aufgebaut wird, daß man im Training viele schnelle "Deutschüsse" abgibt. Ein ganz oder weitgehend unvisiertes Schießen setzt voraus, daß der Schütze über ein sehr gut ausgeprägtes Muskelgedächtnis verfügt, das dafür sorgt, daß die Waffe im Moment der Schußabgabe auch ohne visuelle Referenz in der korrekten Position ist. Dieses Muskelgedächtnis entsteht aber - welch Überraschung - nur dadurch, daß der Körper die KORREKTE Bewegung etliche tausend Male in perfekter Form wiederholt.

Kurz gesagt, um erfolgreich ohne tatsächliches Visierbild schießen zu können, muß man zuerst einmal fundierte, robuste und streßresistente Fähigkeiten im visierten Schießen entwickeln. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten wird aber durch die derzeit im Studium übliche Trainingsmethode nicht nur nicht betrieben, sondern sogar verhindert. Unter diesen Umständen ist es leicht zu erklären, warum derart viele Berufsanfänger erhebliche Defizite in ihren Schießfertigkeiten aufweisen und selbst bei relativ einfachen Drills wie der Kontrollübung aus der PDV 211 (teilweise massive) Probleme haben. Letztlich ist diese Praxis ungefähr das Äquivalent dazu, eine Person zum Sparring in den Ring zu schicken, ohne ihr jemals vorher am Sandsack boxerische Grundschläge vermittelt zu haben.

Nun mag der eine oder andere polizeiliche Schießtrainer, der sich in seinem doktrinären Ego gekränkt fühlt, einwerfen, daß ich ja den Zeitfaktor außer Acht lassen würde, und daß im Realfall ja überhaupt nicht die Zeit vorhanden sei, um die Visiereinrichtung benutzen zu können. Das stimmt aber nicht. Tatsächlich ist der einzige Faktor, der die Geschwindigkeit eines visierten Schusses im Vergleich zu einem unvisierten Schuß begrenzt, die Fähigkeit des menschlichen Auges, Ziel und Visiereinrichtung aufzunehmen und in Beziehung zueinander zu setzen, und diese Fähigkeit ist relativ einfach zu trainieren. Ich habe meine eigenen Zeiten mal mit einem Shot-Timer gemessen und festgestellt, daß ich selbst bei geschlossenem Sicherheitsholster und locker herabhängenden Armen im Durchschnitt nur etwa 1,8 Sekunden für eine gezielte Schußabgabe auf ein 6m entferntes Ziel benötige. Bei geöffnetem Holster und bereits gegriffener Waffe verringert sich die Zeit auf etwa 1,3 Sekunden.

Das Geheimnis liegt schlicht und einfach in der Art und Weise, wie ich meinen Ziehvorgang gestalte. Ich kann durch entsprechendes Training meine Ziehzeiten verbessern, aber letztendlich nur bis zu einem gewissen Grad. Was ich aber darüberhinaus tun kann, ist, die vom Ziehvorgang konsumierte Zeit besser zu nutzen und sie bereits für die Zielaufnahme und Visierung zu verwenden. Dies geschieht dadurch, daß ich die Waffe nicht einfach aus dem Holster rupfe und sie irgendwie von unten nach vorne/oben bringe, sondern sie stattdessen zuerst eng am Körper nach oben führe und sie unmittelbar vor meinem Brustbein mit der Nichtschußhand zusammenführe.

Dabei ist es wichtig, die Waffe schon in diesem Stadium so weit wie möglich nach oben zu bringen. Wenn ich dies tue, befindet sich die Waffe nämlich bereits zu diesem Zeitpunkt des Ziehvorgangs in meinem peripheren Sichtfeld. Von dieser engen, komprimierten Position ausgehend schiebe ich die Waffe nun vorwärts in einer nahezu horizontalen Bewegung in die letztendliche Schußposition. Da sie sich schon zu Beginn dieser Bewegung in meinem Sichtfeld befindet, kann ich schon zu diesem Zeitpunkt eine visuelle Referenz zum Ziel herstellen und die Waffe auf selbiges ausrichten. Je weiter sich die Waffe nach vorne bewegt, desto klarer wird sie für mich sichtbar und desto genauer kann ich Visierung und Ziel in Übereinstimmung bringen. Wenn die Waffe vorne angekommen ist, steht sie somit bereits perfekt im Ziel und ich kann ohne weitere Verzögerung oder optische Verifizierung abdrücken.

In seiner Gesamtheit betrachtet besteht der Ziehvorgang im Grunde aus zwei aufeinander folgenden Bewegungsvektoren, nämlich einem aufwärts gerichteten und einem vorwärts gerichteten. Dabei ist es von erheblicher Wichtigkeit, daß sie nicht miteinander vermischt werden, d.h. die Waffe geht erst in die Vorwärtsbewegung über, wenn sie sich hoch vor der Brust befindet und die Nichtschußhand einen festen Griff erreicht hat.

Das klingt zunächst recht kompliziert, ist es aber eigentlich nicht. Mittels konsequentem Trockentraining (zunächst langsam, später mit zunehmender Geschwindigkeit) gelingt es auch ungeübten Schützen erfahrungsgemäß relativ schnell, das motorische Prinzip zu verinnerlichen, die Bewegung flüssig zu gestalten und eine schnelle und sichere Zielaufnahme und Visierung zu erreichen. Eine Videodarstellung und Schritt-für-Schritt-Erläuterung dieses Bewegungsmusters findet sich hier. Für weitere detaillierte Informationen empfehle ich die in diesem Blog bereits vorgestellte Trainings-DVD "Fighting Handgun" von Craig Douglas, der diese Methodik maßgeblich geprägt hat.

Bis jetzt konnte ich bei jedem Trainingsteilnehmer, dem ich diese Methodik vermittelt habe, eine sofortige erhebliche Verbesserung feststellen. Und vor allem - und das halte ich für recht wesentlich - wurden ihre Trefferbilder schlagartig reproduzierbar. Die Teilnehmer machten (teilweise zum ersten Mal) die Erfahrung, daß ihre Schießergebnisse plötzlich berechenbar, nachvollziehbar und auf Kommando wiederholbar waren.

Insofern ist es in meinen Augen an der Zeit, das Konzept "Wir trainieren den Deutschuß bis zum Abwinken" in die Ablage (rund) zu befördern.

Mittwoch, 21. Januar 2009

Es ist nicht jedem gegeben

Früher war ich immer der Ansicht, Straftäter würden in erster Linie deswegen straffällig, weil sie zu faul und bequem seien, um ihren Lebensunterhalt auf gesetzeskonforme Weise (namentlich durch Arbeit) zu verdienen. Mittlerweile tendiere ich eher zu der Vermutung, daß es nicht so sehr an der Faulheit scheitert, sondern eher an der Tatsache, daß die meisten von ihnen schlicht und einfach zu blöd dafür sind...

Eines schönen Vormittags fahre ich mit meiner Streifenpartnerin ohne Ziel durch unser malerisches Städtchen, als die Wache uns auf einmal einen Einsatz gibt. Im Schuhgeschäft soll ein junger Mann Schuhe gestohlen haben und dann geflüchtet sein. Vor Ort erklärt uns die Filialleiterin, der Täter habe sich hinter einem Regal herumgedrückt und kurze Zeit später das Geschäft fluchtartig mit nagelneuen Schuhen an den Füßen verlassen.

Anschließend habe sie entdeckt, daß er seine alten versifften Treter fein säuberlich in den Schuhkarton verpackt und diesen wieder ins Regal gestellt hätte (zweifelsohne, um zukünftige Kunden mit einem tollen Schnäppchen zu überraschen und das Produktportfolio des Geschäftes zu verbessern). Bei den gestohlenen Schuhen habe es sich um auffällige Turnschuhe mit unverwechselbarem Logo gehandelt.

Aufgrund ihrer Personenbeschreibung weiß ich schon ungefähr, welcher unserer Stammkunden es vermutlich gewesen ist. Wieder zurück auf der Wache, bitte ich den Rest der Truppe, in den nächsten Tagen mal etwas Ausschau nach ihm zu halten und sich seine Schuhe näher anzugucken. Und tatsächlich spricht mich am nächsten Tag ein Kollege an.

"Du, sag mal... du suchst doch den B. Der steht gerade draußen im Vorraum."

Ich flitze nach vorne, und tatsächlich steht im Vorraum der Wache unser alter Freund B. und guckt etwas gelangweilt in der Gegend herum. Ich schnappe ihn mir und fordere ihn auf, seine korreggd krassen Checkerhosen mal etwas hochzuziehen und mir seine Schuhe zu zeigen.

"Ey Alder, was is los, hey?" entgegnet er, was ich im Geiste korrekt in "Entschuldigen Sie, Herr Wachtmeister, warum möchten Sie denn meine Schuhe sehen?" übersetze. Ich überzeuge ihn mit etwas mehr Nachdruck davon, daß ich jetzt sofort seine Schuhe sehen möchte, und siehe da... es sind die entwendeten Turnschuhe, komplett mit Preisschild des Schuhgeschäfts. Die ist er natürlich gleich los, worüber er sich mittelschwer verärgert zeigt und mir enthüllt, daß ich ihn allein aus rassistischen Motiven mit meinem Haß verfolgen würde.

Es stellt sich heraus, daß der Volltrottel einen Tag nach dem Diebstahl auf der Dienststelle zur Vernehmung in anderer Sache durch einen anderen Kollegen erschienen ist - mit dem Diebesgut an den Füßen. Ich bin fröhlich gestimmt, mein Kunde deutlich weniger. Der vernehmende Kollege ist auch etwas mißmutig... seine Vernehmung hat sich nämlich gerade erledigt, weil der Beschuldigte sich ob der massiven rassistischen Unterdrückung und Verfolgung seiner Person nun entschieden hat, nicht mal mehr "PIEP!" zu sagen.

Na ja, was solls... er hätte ohnehin nur Blödsinn erzählt.

Mittwoch, 14. Januar 2009

Fighting Handgun

Neulich trudelte endlich das Päckchen aus den USA mit meiner neuesten DVD-Erwerbung ein: "Fighting Handgun Vol. 1" von und mit Craig "SouthNarc" Douglas. Als jemand, der grundsätzlich nicht viel davon hält, nach Videos zu trainieren, war ich naturgemäß zuerst etwas mißtrauisch.

Glücklicherweise durfte ich feststellen, daß diese DVD sich als eine äußerst sinnvolle Investition herausstellte. Übergreifendes Thema der DVD ist der taktische Einsatz der Kurzwaffe auf den relevanten Entfernungen ab Kontaktdistanz aufwärts. Craig Douglas selbst ist Polizeibeamter mit langjähriger Dienst- und Einsatzerfahrung in verschiedenen Verwendungen (u.a. Scheinkäufer/verdeckter Ermittler im BTM-Bereich und SWAT-Angehöriger) und hat sich mit ebendiesem Thema in Training und Praxis langjährig und intensiv auseinandergesetzt.

Grundlage und Mittelpunkt von Douglas' Trainingsansatz ist der Aufbau und die sinnvolle Gestaltung des Ziehvorgangs, da die hierbei entwickelten motorischen Fähigkeiten maßgeblichen Einfluß darauf ausüben, wie schnell der Anwender seine Waffe ins Spiel bringt und wie sicher und präzise er aus dem Ziehen, aber auch aus anderen Bewegungen heraus das Ziel aufnimmt und trifft. Die Erläuterung und der Schritt für Schritt erfolgende Aufbau einer effektiven Ziehbewegung nimmt einen großen Teil der Laufzeit der DVD ein.

Aufgrund der zentralen Rolle des Ziehvorgangs in der Trainingsmethodik und dem Einsatzkonzept legt Douglas großen Wert darauf, ihn so zu gestalten, daß er möglichst "multifunktional" ist, d.h. daß ein und derselbe Bewegungskomplex bzw. Teile desselben für die Handhabung und den Einsatz der Waffe auf allen Distanzen verwendet werden und alle Waffenhaltungen und Schießpositionen sich logisch aus seinem Verlauf heraus ergeben. Dadurch wird gewährleistet, daß die gesamte Motorik der Waffenhandhabung einem einzigen übergeordneten Prinzip folgt, und nicht unterschiedliche geartete oder sogar gegensätzliche Bewegungen für unterschiedliche Aufgaben trainiert werden.

Nachdem die Ziehbewegung umfassend und bis ins Detail erläutert worden ist, stellt Douglas dar, welche Einsatzmöglichkeiten sich daraus für die verschiedenen Distanzen ergeben, und bietet eine logische Progression aus immer anspruchsvoller werdenden Übungen für den scharfen Schuß an. Besonderes Gewicht legt er dabei auf die Schußabgabe auf Kontaktdistanz, deren Komplexität sich aus der Schwierigkeit ergibt, einen Fremdzugriff auf die Waffe zu verhindern, sich gegen Einwirkung durch den Täter zu schützen, im Clinch nicht die eigenen Gliedmaßen zu treffen und trotzdem eine konsistente und wiederholbare Trefferlage zu gewährleisten.

Hieran anknüpfend thematisiert Douglas in den letzten Kapiteln die nahtlose Einbindung von Nahkampftechniken und Deckungs- und Abwehrverhalten in die Waffenhandhabung und den Einsatz der Schußwaffe im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung bis hin zum Bodenkampf. In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß er nicht "nur" reines Waffentraining vermittelt, sondern aufgrund seines umfangreichen kampfsportlichen Backgrounds in etlichen Disziplinen eine integrative, ganzheitliche Vermittlung von sinnvollem Kampfverhalten mit und ohne Waffen präsentieren kann.

"Tote" Partnerübungen, in denen ein Partner nach einem alibihalber vorgetragenen Einzelangriff stehenbleibt und eine halbe Minute lang den unbeweglichen Dummy für eine Myriade an filigranen Kontertechniken spielt, sucht man hier vergebens... ebenso wie Wohlfühl-Flowdrills oder sonstige abgesprochene Koordinationsspielchen. Stattdessen werden die vermittelten Konzepte von Douglas aus lebendige Weise mit einem Widerstand leistenden und selbständig agierenden Partner vorgeführt. Es ist gut zu erkennen, daß es hier um robuste und funktionelle Sachen geht, die im Gegensatz zu vielen anderen SV-Konzepten nicht auf ein kooperatives "Opfer" angewiesen sind, sondern bei entsprechendem Training auch in einer freien "Sparringsumgebung" funktionieren, in der gleichberechtigt ausgeteilt und eingesteckt wird.

Insgesamt gesehen stellt diese DVD eine empfehlenswerte Bereicherung für jede "taktische Bibliothek" dar. Sie spricht grundsätzlich sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene an, eignet sich aufgrund der anspruchsvollen Thematik allerdings eher für Leute, die bereits einige Grundkenntnisse in den Bereichen Schießen und Einsatztraining/Kampfsport haben. "Fighting Handgun" sticht durch den stringenten konzeptionellen Aufbau und den integrativen Ansatz aus der Masse der Literatur zum Thema Schießtraining/taktische Ausbildung deutlich hervor und bietet insbesondere wertvolle Anregungen für die sinnvolle Verknüpfung von Waffenhandhabung und körperlichen Abwehr- und Zugriffstechniken.

"Fighting Handgun Vol. 1" hat eine Laufzeit von 103 Minuten und kann über MD Tactical zum Preis von 65,- US$ (inkl. Versand) bezogen werden. Die Lieferzeit beträgt etwa drei bis vier Wochen.

Mittwoch, 7. Januar 2009

One-shot stop

Ich bin seinerzeit während meiner Polizeiausbildung noch in den Genuß gekommen, im Winter bei frostigen Temperaturen auf einem Freiluftschießstand der Bundeswehr auf die üblichen Pappziele zu schießen... Quadrate, Kreise, Dreiecke und Bögen. Auszuschließen ist es immerhin nicht, daß man im Rahmen der polizeilichen Tätigkeit mal irgendwann von einem solchen angegriffen wird.

Da wir uns mittlerweile im 21. Jahrhundert befinden, hat bei den meisten Polizeidienststellen mittlerweile die moderne Raumschießanlage mit Beamer und diversen Videodarstellungen Einzug gehalten. Man kann böse Menschen in interaktiven Filmen auf einer Großleinwand umnieten, die je nach Knöpfchendrücken des Schießausbilders unterschiedlich reagieren, und die anatomisch korrekt umfallen, wenn man sie trifft. Sämtliche Treffer werden per Infrarotlicht registriert und sofort angezeigt. Man kann allerdings auch nach wie vor auf Kreise, Dreiecke, Quadrate und Bögen schießen, wenn man nostalgisch veranlagt ist oder wenn man (wie ich) der Meinung ist, daß interaktive Szenarien mit "lebenden" Gegenübern lieber in 3D mit FX-Waffen beim Einsatztraining gemacht werden sollen, und daß die Zeit auf dem Schießstand lieber für sinnvolles und qualitativ hochwertiges Techniktraining genutzt werden sollte.

Was sich leider trotz guter technischer Ausstattung nicht geändert hat, sind die Ansichten und Erwartungen bezüglich dessen, was denn passiert, wenn man wirklich mit einer Kurzwaffe auf einen Menschen schießt. Mittlerweile gehört es immerhin zumindest zur gängigen polizeilichen Trainingsdoktrin, daß im Falle eines Schußwaffengebrauchs so lange weitergeschossen wird, bis entweder beim Täter eine sichtbare Angriffsunfähigkeit eintritt oder der Täter von einer Fortführung des Angriffs absieht. Die Frage, die sich an diesem Punkt stellt, ist allerdings, wie schnell eine derartige Stoppwirkung tatsächlich zu erreichen ist.

Tatsächlich scheinen immer noch viele Leute in Polizeikreisen davon auszugehen, daß dies bereits beim ersten Treffer in einen vitalen Bereich der Fall sein wird. Diese Haltung wird im Schießtraining unterbewußt noch dadurch verstärkt, daß sämtliche Zieldarstellungen aufgrund der Programmierung der Anlage bereits nach dem ersten Treffer als neutralisiert gelten... Videodarsteller fallen um und Zielscheiben werden als getroffen markiert, wodurch in der Wahrnehmung des Trainierenden die Verknüpfung "Erster Treffer = Wirkungstreffer" verankert wird. In der bundeseinheitlichen Kontrollübung gemäß der PDV 211 findet sich dasselbe Prinzip wieder.

Auch der übertriebene "Hype" um die vor einigen Jahren flächendeckend in Deutschland eingeführte neue Einsatzmunition (Expansivgeschosse, namentlich RUAG Ammotec Action 4 und MEN PEP 2) hat nicht unwesentlich zu dieser Einschätzung der Wirksamkeit der eigenen Dienstwaffe beigetragen. Mir begegnen im täglichen Dienst regelmäßig Aussagen von Kollegen, die sinngemäß so lauten: "Wir haben doch jetzt die neue Mannstoppmunition, damit muß man doch sowieso nur ein- oder zweimal schießen, dann fällt der schon wegen der Schockwirkung um, egal wohin ich treffe."

In Wirklichkeit (und das beweisen Berichte aus dem tatsächlichen Einsatz aus aller Welt immer wieder aufs neue) verfügen Kurzwaffenkaliber lediglich über eine ziemlich unberechenbare und oftmals unbefriedigende Stoppwirkung, Geschoßform hin oder her. Und Legenden über irgendeine "Schockwirkung", die aus einer besonderen Geschoßform resultieren soll, sind eben nur das - nämlich Legenden. Ein Schock im medizinischen Sinne ist schlicht und einfach eine Unterversorgung des Gehirns mit Blut.

Diese kann (aus zielballistischer Sicht) durch einen massiven Blutverlust (hämorrhagischer Schock, ausgelöst durch eine Verletzung des Herzens oder der großen Blutgefäße) oder durch eine starke Erweiterung der Blutgefäße (neurogener/spinaler Schock, ausgelöst durch eine verletzungsbedingte Stimulierung des vegetativen Nervensystems) und ein dadurch bedingtes "Versacken" des Blutes im Körper verursacht werden.

Beide Varianten sind praktisch nicht sicher vorauszusagen. Auch Faktoren wie der körperliche und psychische Zustand und Drogen- oder Alkoholkonsum der betreffenden Person spielen eine Rolle. Hinzu kommt, daß selbst bei massivem Blutverlust durch eine Verletzung des Herzens oder der Bauchschlagader eine Handlungsunfähigkeit vermutlich frühestens nach Ablauf von zehn Sekunden eintreten wird... je nach Ausmaß der Verletzungen u.U. auch erst viel später. Insofern ist die Frage, wie oft man einen menschlichen Gegner tatsächlich beschießen muß, um eine Handlungsunfähigkeit zu erreichen, im Grunde ein Lottospiel, dessen Ergebnis nicht im Voraus berechnet werden kann.

Um mal ein Extrembeispiel zu liefern, möchte ich das hier geschilderte Ereignis anführen. Laut dem Obduktionsergebnis wurde der Täter 22-mal getroffen, davon allein 17-mal im Bereich der Oberkörpermitte. Bei den verwendeten Geschossen handelte es sich um .40 S&W Ranger SXT, die sowohl ein größeres Grundkaliber als auch bessere Expansionseigenschaften und eine größere Geschoßenergie als die Einsatzmunition deutscher Polizeibehörden aufweisen. Trotzdem blieb der Täter bis zum letzten Treffer aktionsfähig, setzte seinen Angriff auf den Polizeibeamten bis zu diesem Zeitpunkt fort und verstarb erst vier Minuten nach Ende der Auseinandersetzung.

Man kann also mit Sicherheit sagen, daß ein berechenbarer und sicherer "one-shot stop" mit einer Kurzwaffe außer durch einen direkten Kleinhirntreffer nicht zu bewerkstelligen ist (was in aller Regel technisch und taktisch nicht machbar sein wird). Tatsächlich wird man im Fall eines Schußwaffengebrauchs davon ausgehen müssen, daß zumindest eine nicht ganz unerhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, daß eine Stoppwirkung nicht nach dem ersten Treffer eintritt und der Täter mehrfach beschossen werden muß.

Und diese Erkenntnis sollte sich auch im Training wiederspiegeln, indem die Übungen (und entsprechend auch die Programmierung der Schießanlage) so gestaltet werden, daß die Anzahl der Treffer, die für die Neutralisierung eines Ziels gefordert werden, variabel ist und mehr als einen einzigen umfassen kann. Ansonsten trainieren wir nämlich an der Realität vorbei - und zwar in einem Themengebiet, auf dem ebendas fatale Konsequenzen für uns haben kann.

Die Polizei, dein Feind und Gegner

Langsam scheint auch die Mainstream-Presse dahinter gekommen zu sein, daß sich die in meinem letzten Eintrag angesprochene zunehmende Gewalt auf unseren Straßen nicht nur als wahlloser Ausbruch von Aggression oder als langeweilebedingte Pöbelei von Halbstarken gegen ein zufälliges Opfer manifestiert, sondern sich auch zunehmend gezielt, planmäßig und mit hoher Intensität und krimineller Energie gegen Polizeibeamte richtet.

Zumindest läßt der gleichnamige Artikel bei SPIEGEL-Online diesen Schluß zu. Ich bin gespannt, ob die öffentliche Diskussion über dieses Thema irgendwann ein politisches Umdenken beim Thema "Innere Sicherheit" anstößt... namentlich über die Frage, ob man bei Einsatzmitteln, Personalstärke und Besoldung der Polizei nicht lieber deutlich mehr anstatt weniger investieren sollte. Besonders zuversichtlich bin ich (aus Erfahrung) allerdings nicht.