Montag, 28. Dezember 2009

Und es geht weiter

In der Nacht zum Heiligabend überfallen drei maskierte Männer eine Tankstelle in Leimen bei Heidelberg. Auf der Flucht werden sie unweit des Tatorts von einer Streife gesichtet und verfolgt. Einer der Täter gibt mehrere Schüsse in Richtung der Beamten ab, die zurückschießen und ihn zweimal treffen. Der getroffene Täter verstirbt noch vor Ort, seine beiden Komplizen werden wenig später festgenommen. Sie räumen ein, für etliche weitere Raubtaten der jüngsten Vergangenheit verantwortlich zu sein. Die Tatwaffe stellt sich als Schreckschußpistole heraus.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag rufen Anwohner in Hamburg-Barmbek die Polizei, weil ein psychisch kranker Nachbar in seiner Wohnung randaliert und Möbel zertrümmert. Nachdem auf Klingeln und Klopfen nicht reagiert wird, brechen die eingesetzten Beamten die Tür auf und betreten die Wohnung, um eine Eigengefährdung des Verursachers auszuschließen. Sie werden sofort von dem Bewohner mit einem Messer angegriffen. Nachdem ein Pfeffersprayeinsatz keine Wirkung zeigt, gibt derjenige Beamte, dem der Angriff unmittelbar gilt, drei Schüsse ab, die den Täter in den Oberkörper und Arm treffen. Der Täter verstirbt noch vor Ort.

Beim Lesen dieser Meldungen mußte ich an zwei Dinge denken. Zum einen ist mir wieder einmal bewußt geworden, wie sehr die subjektive Wahrnehmung vieler Kollegen ("So was wird mir schon nicht passieren, die Chance ist doch minimal") und die tatsächliche Faktenlage (polizeilicher Schußwaffengebrauch ist bundesweit gesehen ein regelmäßiges und keinesfalls übermäßig seltenes Vorkommmnis). voneinander differieren. Tatsächlich belegen die Zahlen der vergangenen zehn Jahre, daß jedes Jahr in ca. 30 - 80 Fällen die Dienstwaffe gegen Personen eingesetzt wird (Quelle: Prof. Clemens Lorei).

Wenn man voraussetzt, daß von den etwa 266.000 Polizeibeamten in Deutschland grob geschätzt etwa 80.000 im Streifendienst tätig sind (dessen Angehörige in aller Regel diejenigen sind, die in die Situation kommen, ihre Dienstwaffe tatsächlich benutzen zu müssen), ergibt das eine ungefähre Wahrscheinlichkeit von 1:1800 pro Jahr (!!) für den einzelnen Beamten. Wenn ich beim Lotto eine vergleichbare Chance auf den Hauptgewinn hätte, würde ich vermutlich jede Woche zum Kiosk rennen und einen Schein ausfüllen.

Der zweite Gedanke, der mich beschäftigt, ist die Überlegung, daß ein nicht geringer Teil dieser Schußwaffeneinsätze (nämlich gegen Personen, die mit Messern oder sonstigen Kontaktwaffen bewaffnet waren) womöglich hätte vermieden werden können, wenn den Einsatzkräften ein Taser zur Verfügung gestanden hätte. Selbstverständlich ist auch ein Taser kein Allheilmittel für alle Einsatzlagen. Er eröffnet aber Möglichkeiten, einen Täter, der aufgrund von Bewaffnung, körperlicher Statur oder sonstigen Umständen mit herkömmlichen nichttödlichen Einsatzmitteln nicht ohne unzumutbares Risiko für die eingesetzten Kräfte festgenommen werden kann, zu überwältigen, ohne dessen Gesundheit über Gebühr zu gefährden.

Derzeit ist der Taser nur bei diversen SEK und MEK in Gebrauch. Diese Einheiten werden aber in aller Regel nur bei Lagen eingesetzt, in denen im Vorfeld bereits Hinweise auf eine Bewaffnung des Täters vorliegen, können zwangsläufig erst erheblich später am Einsatzort eintreffen als der örtliche Streifendienst, und stehen für Soforteinsätze wie die erwähnten Vorfälle in Hamburg und Regensburg insofern nicht zur Verfügung.

Die Ausstattung des Streifendienstes mit dem Taser ist in Deutschland bisher aus verschiedenen. überwiegend politischen Gründen verworfen worden. Ursächlich dafür waren vor allem negative "media coverage" von Tasereinsätzen in den USA, bei denen es zu einigen Todesfällen kam, deren Hintergrund und Ursache bis dato noch weitgehend ungeklärt sind. Ich vermute allerdings, daß die Ansicht derjenigen, die eine flächendeckende Einführung des Tasers befürworten, sich mittelfristig durchsetzen wird, wie sie das auch in anderen Ländern getan hat.

Die Frage ist vielmehr, wieviele Menschenleben noch verlorengehen müssen, bis unsere gewählten Vertreter sich zu der Einsicht durchringen, daß wir ein zusätzliches Einsatzmittel benötigen, das zwischen Schlagstock/Pfefferspray und Schußwaffe angesiedelt ist.

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