Dienstag, 26. Januar 2010

Was willst du mit dem Dolche, sprich?

"Die Stadt vom Tyrannen befreien", spricht der verhinderte Attentäter Möros in Schillers "Bürgschaft". Dieser junge Mann, der dadurch aufgefallen ist, daß er sich im Innenhof eines Frankfurter Krankenhauses lautstark mit seiner Begleiterin streitet, hat anscheinend keine passende Antwort auf diese Frage parat und entscheidet sich stattdessen, zunächst die besagte Dame und anschließend die beiden Polizeibeamten, die zum Streitschlichten entsandt werden, mit dem besagten Messer zu bedrohen. Diese taktische Fehlentscheidung trägt ihm eine tödliche Schußverletzung in der Brust ein.

Merke: meistens sind Streitigkeiten nur Streitigkeiten. Manchmal sind Streitigkeiten (ebenso wie Ruhestörungen, Ladendiebstähle und die ganzen anderen kleinen Alltagseinsätze, die jeder von uns ständig abarbeitet) aber auch nur ein fieses Feigenblatt, hinter dem die Vorsehung einen Haufen Ärger für alle Beteiligten verbirgt, und das man deswegen im Interesse eines gesunden Erreichens des Pensionsalters nur vorsichtig lüften sollte.

Glücklicherweise haben die eingesetzten Kollegen anscheinend genau das getan. Ich wünsche ihnen eine schnelle Einstellung des Ermittlungsverfahrens und viel Kraft, Ruhe und Unterstützung von ihren Familien, Freunden und Kollegen.

Scheiterhaufen Reloaded

Hollywood macht es uns jedes Jahr vor: wenn etwas gut geworden ist und sich ordentlich verkauft, kommt zwangsläufig irgendein findiger Kopf auf die Idee "Das machen wir einfach nochmal". Ein toller Film, ein innovatives Drehbuch? Man sichere sich einfach die Rechte für einige Sequels, Prequels oder Was-auch-immer-für-quels, verpflichte den Star zu soundsovielen Folgeprojekten und werfe die Gelddruckmaschine an... solange, bis sich die Sache endgültig totgelaufen hat und niemand außer den knallharten Fans noch ins Kino geht.

Anscheinend gibt es auch unter Gewalttätern bestimmte Evergreens, die sich einfach nicht totlaufen. Vor anderthalb Jahren schrieb ich hier und hier über einen Vorfall in Bremen, bei dem eine Streifenbesatzung durch einen fingierten Notruf in einen Hinterhalt gelockt wurde, wo sie gemäß des Plans der später festgenommenen Täter mittels eines Molotowcocktails im Streifenwagen ermordet werden sollten. Glücklicherweise scheiterte das Vorhaben am Unvermögen der Täter.

Diese Idee scheint in gewissen Kreisen einen erheblichen Charme auszuüben. Letzte Woche unternahmen drei Täter in Greifswald einen praktisch deckungsgleichen Versuch. Die durch den fingierten Notruf ins Plattenbau-Ghetto gelockte Streife wurde bei Eintreffen sofort mit Molotowcocktails beworfen, die den Streifenwagen glücklicherweise verfehlten. Die Täter konnten wenig später nach umfangreichen Ermittlungen festgenommen werden. Einer von ihnen hat in seiner Vernehmung eine Tötungsabsicht eingeräumt. Er war vor kurzem erst aus der JVA entlassen worden.

Es liegt völlig jenseits meines Begriffshorizonts, wie jemand auf eine derartige Idee kommen kann. Andererseits überrascht es mich aber auch nicht wirklich. Unter all den Lektionen, die ich in meiner bisherigen dienstlichen Laufbahn lernen mußte, war die eindringlichste, häufigste und wichtigste Erkenntnis nämlich diejenige, daß polizeiliche Auffälligkeit und irrationales Verhalten regelmäßig korrelieren.

Auf Deutsch gesagt: je öfter jemand mit uns zu tun hat, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß er zu irgendeinem Zeitpunkt einen kompletten, aus unserer Perspektive nicht mal ansatzweise nachvollziehbaren Blödsinn bauen wird, dessen Folgen zwischen komisch und tragisch rangieren können.

Insofern möge der mündige Bürger, der einmal in zehn Jahren in eine Polizeikontrolle gerät und sich indigniert über unsere Eigensicherungsmaßnahmen zeigt, sich bitte mal eine Tatsache vor Augen halten: wir haben überwiegend mit einem Klientel zu tun, dessen Denkprozesse, Entscheidungen und Handlungen vielfach nicht mit normalen bürgerlichen Maßstäben gemessen werden können. Lieber Mitbürger, der sich immer berechenbar, friedlich und spielregelgemäß verhält: in unserer Welt, in der Welt der Blaulichtfahrten, der häuslichen Gewalt, der Raubüberfälle, Discoschlägereien und Einbrüche bist du nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Und wir können es uns nicht leisten, diese Verteilung außer Acht zu lassen.

Dienstag, 5. Januar 2010

Auge um Auge

Live by the sword - die by the sword, heißt es in dem altenglischen, aus dem Matthäus-Evangelium entlehnten Sprichwort. Diese Weisheit gibt es natürlich auch im Deutschen in vielerlei Vaianten, aber sie klingt dort einfach nicht so schön eingängig.

Oftmals sucht man diese Form von poetischer Gerechtigkeit ja leider vergebens. Dieses Jahr hat es der Vorsehung, dem Schicksal, dem Universum oder wem auch immer aber zu Silvester mal wieder gefallen, auf nachdrückliche und unmißverständliche Weise klarzustellen, daß jegliche (unüberlegte) Handlung ihre Konsequenzen hat.

Der sechzehnjährige Ibrahim O. fährt zum Feiern nach Hamburg und gießt sich ordentlich was vom "Wein, der Vergessen schenkt" auf die Lampe. Offensichtlich führt das dazu, daß er vollkommen vergißt, daß Messer im allgemeinen eine scharfe Spitze haben und sich mit empfindlichen Materialien nicht gut vertragen

Als Ibrahim O. nämlich in einen Streit mit einem anderen jungen Mann gerät, zieht er sein Butterfly-Messer und bedroht damit seinen Kontrahenten. Der ist anscheinend von einem deutlich clevereren Schlag als unser gutbewaffneter Großstadtkrieger, denn er verdrückt sich umgehend. Allerdings kann der Sieger dieses spannungsgeladenen Duells seinen Triumph nur kurzzeitig genießen, denn wenige Sekunden später rutscht er aus, fällt zu Boden und rammt sich selbst das Messer bis zum Anschlag ins linke Auge. Er liegt gegenwärtig nach einer Not-OP im künstlichen Koma.

Ich gebe zu, daß mich meine Meinung zu diesem Vorfall vermutlich zu einem ziemlich unempathischen Menschen macht. Ich habe nämlich laut losgelacht. So tragisch es für einen jungen Menschen auch sein mag, ein Auge zu verlieren (und womöglich noch mehr, falls die Verletzungen schwerwiegender sind)... nach einer ganzen Reihe von Jahren als Polizist auf der Straße und der Aufnahme von unzähligen vollkommen unnötigen und sinnlosen Schlägereien, Messerstechereien und Bedrohungen, die aus Alkohol, schwachsinnigen Ehrbegriffen und nitroglycerinartigem Temperament der Beteiligten resultierten, ist jegliches Mitleid für jemanden, der aus ebendiesen Motiven eine Waffe gegen seine Mitmenschen richtet und dabei selbst zu Schaden kommt, bei mir aufgebraucht.

Insofern bleibt mir nichts mehr zu sagen als "Selbst schuld, du Held". Leider ändert die Geschichte von Ibrahim O. nicht das Geringste an der Tatsache, daß auf Deutschlands Straßen zehntausende junge Männer von Ibrahim O.'s Kaliber herumlaufen, die uns auch morgen, übermorgen und nächste Woche Schwierigkeiten aller Art bereiten, Sachen kaputtmachen und Menschen verletzen werden.