Mittwoch, 26. August 2009

Rüstungsfragen

Der geneigte Leser wird sich sicherlich noch an die Zeiten erinnern, als er in der Schule klassische mittelhochdeutsche Dichtung büffeln durfte... namentlich das Nibelungenlied. Wie die Sage berichtet (und unzählige, mehr oder weniger kitschige Theaterstücke, Opern und Filme nachplappern), erlangte Siegfried von Xanthen Unverwundbarkeit, indem er im Blut des von ihm erschlagenen Drachen badete... bis auf eine kleine Stelle auf dem Rücken, die beim Baden versehentlich von einem Blatt bedeckt worden war. Durch Kenntnis dieser Schwachstelle konnte sein Rivale Hagen von Tronje ihn schließlich hinterrücks umbringen.

Vermutlich dürfte sich dieser Kollege im Nachhinein auch gewünscht haben, über so eine legendäre Gabe zu verfügen. Dann wäre ihm nämlich ein lebensbedrohlicher Brustdurchschuß erspart geblieben. Da wir uns nun nicht in mythischer Vorgeschichte, sondern im Deutschland des 21. Jahrhunderts befinden, ist dieser Wunsch natürlich illusorisch.

Überhaupt nicht illusorisch ist dagegen die Idee, doch einfach mal die Schutzweste anzuziehen. Das ist zwar längst nicht so toll wie eine unverwundbare Drachenbluthaut, hat aber den Vorteil, daß sie zumindest für die meisten Polizeibeamten vorhanden ist.

Tatsächlich tun dies aber viele Kollegen nicht bzw. nur gelegentlich, weil die Bequemlichkeit dann - wie so oft - doch die Oberhand über taktische Erwägungen gewinnt. Das ist ein völlig inakzeptabler Zustand. Natürlich ist es im Sommer bei warmen Temperaturen unbequem, unter einer Unterziehschutzweste zu schwitzen. Ich wage aber mal die Prognose, daß eine Schußverletzung im Brustkorb noch deutlich unbequemer ist.

Und wie der oben zitierte Vorfall (wieder einmal) zeigt, kommt sowas trotz allem Schöngerede darüber, wie sicher Deutschland ist, immer mal wieder vor. Auch wenn wir keine Thronfolgestreitigkeiten am burgundischen Königshof mehr ausfechten. Es genügt schon eine häusliche Gewalt, ein Raubüberfall, ein Einbrecher auf frischer Tat oder einer der tausend anderen Routineeinsätze, die jeder von uns regelmäßig hat und die womöglich beim tausendundersten Mal schiefgehen.

Leider herrscht im Kollegenkreis bei vielen Leuten nach wie vor die potentiell tödliche Einstellung "Mir wird das schon nicht passieren" vor, und die Weste wird entweder überhaupt nicht oder nur im Nachtdienst angezogen. Anscheinend muß man manche Leute tatsächlich zu ihrem Glück zwingen. In diesem Sinne wünsche ich mir deswegen, daß der Dienstherr ein einziges Mal gesunden Menschenverstand zeigt und eine generelle Trageverpflichtung für die Schutzweste verfügt, die konsequent (und ggf. mit Sanktionen) durchgesetzt wird.

Ich habe es nämlich satt, von meinen Kollegen immer wieder zu hören: "Wieso, ist doch meine Sache." Nein, mein Freund, das ist es eben nicht. Wenn wir zusammen auf dem Funkwagen sitzen, ist es UNSERE Sache, denn wenn du zusammengeschossen wirst, kannst du mir nicht mehr den Rücken freihalten. Und ich habe keinerlei Bedürfnis danach, daß deine Sorglosigkeit irgendwann mal mein Ticket in die ewigen Jagdgründe wird.

Allerdings kann man die Schuld für diese Zustände nicht komplett den Kollegen selbst in die Schuhe schieben. Es gibt nämlich auch heute immer noch Polizeibeamte, die von ihrem Arbeitgeber 1.) nicht mit einer persönlich zugewiesenen Schutzweste ausgestattet worden sind, und 2.) aufgrund ihrer sehr großen oder sehr kleinen Größe auch keine Weste aus den Dienststellenpools benutzen können.

Diese Kolleginnen und Kollegen fahren jeden Tag und jede Nacht zu riskanten Einsätzen, während sie über Monate und Jahre hinweg darauf warten, daß das Budget der Behörde mal wieder die Beschaffung von weiteren Westen zuläßt. Als Beispiel für die sprichwörtliche Nibelungentreue kann man dieses unsäglich verantwortungslose Verhalten des Dienstherrn wohl kaum bezeichnen.

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