Samstag, 19. März 2011

Risiken und Chancen

Wie der Zufall es will, sind mir unlängst ein paar Daten in die Hände gefallen, die das typischerweise anzunehmende Risiko von Würgetechniken im Kontext polizeilicher Zwangsmaßnahmen etwas näher beleuchten. Das Canadian Police Research Center hat 2008 in Zusammenarbeit mit dem Calgary Police Department eine Studie durchgeführt, in der die Verletzungsrisiken für Täter und Polizeibeamte bei Anwendung verschiedener Zwangsmittel über einen längeren Zeitraum untersucht wurden (gefunden in den Force Science News des Force Science Research Institute). Da einige Variationen des Rear Naked Choke in diversen amerikanischen und kanadischen Polizeibehörden anscheinend nach wie vor unter der Bezeichnung "lateral vascular neck restraint" (LVNR) ausgebildet werden, findet sich in der Studie auch etliches Datenmaterial zu Würgern.

Insgesamt wurden die Verletzungszahlen (aufgegliedert nach Häufigkeit und Schwere) beim Einsatz von Pfefferspray, Schlagstock, Taser, Würgetechniken und sonstigen körperlichen Zugriffstechniken erhoben und analysiert. Dabei wurden 562 Fälle von Zwangsanwendungen betrachtet, die sich über eine Dauer von zwei Jahren verteilten. Schlußendlich ergibt sich die daraus folgende Gefährlichkeitsrangfolge der einzelnen Zwangsmittel:

1. Schlagstock (konkret: Teleskopschlagstock)
2. Körperliche Zugriffstechniken (Hebel, Schläge, Takedowns, Nervendrucktechniken)
3. Taser
4. Würger
5. Pfefferspray

Aus der Studie läßt sich u.a. entnehmen, in wievielen Fällen es zu Verletzungen auf beiden Seiten kam und wieviele davon ärztlich behandelt werden mußten, zu Krankenhausaufenthalten führten oder tödlich endeten. Ohne diese ganzen Zahlen hier jetzt komplett zitieren zu wollen, möchte ich lediglich interessehalber die Vergleichsdaten zu Würgetechniken und sonstigen körperlichen Zugriffstechniken aufführen. Einsätze, in denen Würgetechniken eingesetzt wurden (insgesamt etwa 3% aller Zwangsanwendungen bei Festnahmen), führten in 52,9% aller entsprechenden Fälle zu keinen Verletzungen beim Gegenüber. Weitere 41% der festgenommenen Täter wurden leicht verletzt, ohne daß eine ärztliche Behandlung erforderlich war. In weniger als 6% der Fälle war eine geringfügige ambulante Behandlung nötig. Es kam zu keinerlei Krankenhausaufenthalten oder Todesfällen. In 76% dieser Einsätze kam es zu keinen Verletzungen auf Seiten der Einsatzkräfte. In den restlichen 24% der Fälle war keinerlei medizinische Versorgung nötig.

Im Vergleich dazu bietet sich bei sonstigen körperlichen Techniken (angewandt in 38,5% aller Festnahmesituationen) ein deutlich unangenehmeres Bild. 50% der festgenommenen Täter wurden leicht verletzt, ohne daß ärztliche Behandlung nötig wurde. 14% aller Fälle erforderten ambulante medizinische Versorgung, und weitere 4% der Einsätze von körperlichem Zwang führten zu Krankenhausaufenthalten des Täters. Auf Seiten der eingesetzten Beamten blieben 77,8% unverletzt, 17% wurden leicht verletzt, 4,5% benötigten ärztliche Behandlung und 1% wurden in ein Krankenhaus aufgenommen.

Das Bild, das sich hier abzeichnet, deckt sich im Wesentlichen mit dem, was jeder von uns ständig im täglichen Dienst feststellen kann. Zwangsanwendung ist naturgemäß für beide Seiten verletzungsträchtig, wenn auch mehr für den Täter als für die Einsatzkräfte. In den meisten Fällen bleibt es bei oberflächlichen Verletzungen wie Abschürfungen oder Prellungen. Aber in dem Moment, in dem sich die Festnahme zu einer ausgewachsenen körperlichen Auseinandersetzung ausweitet, steigt das Risiko deutlich an. Jeder Kollege weiß aus eigener praktischer Erfahrung, daß ein längeres Gerangel (wie es meistens entsteht, wenn man versucht, einen sich heftig wehrenden Täter mit den üblichen Mitteln zu Boden zu bringen und dort zu fixieren) regelmäßig mit kleinen oder größeren Körperschäden auf beiden Seiten endet. Eine sehr geschätzte Kollegin von mir ist wegen einer solchen Situation nach einem durchgetretenen Knie seit etwa einem Jahr krankgeschrieben.

Hierdurch dürfte sich auch die meßbar niedrigere Verletzungsrate von Würgetechniken erklären. Wenn ich es schaffe, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in der Konfrontation den Rücken meines Gegners zu gewinnen und von dort aus einen Würger anzusetzen, befinde ich mich in einer Position, in der er kaum noch auf mich einwirken kann. Gleichzeitig kann ich ihn mit relativ geringem Kraftaufwand kontrollieren und nötigenfalls handlungsunfähig machen, ohne ihn dabei zu verletzen.

Bezogen auf die Gestaltung eines polizeilichen Einsatztrainings indiziert die Studie insofern also, daß "taking the back", sprich das Manövrieren in den Rücken des Gegners aus dem Clinch heraus, im Grunde eine Kernfähigkeit für risikoarme Festnahmen ist. Leider habe ich zielgerichtetes Training für diesen Bewegungskomplex in einem polizeilichen Kontext bisher nicht feststellen können, sondern lediglich im sportlichen Bereich des ringerisch geprägten Zweikampfs. Ich halte das für ein Versäumnis.

Samstag, 12. März 2011

Gerödel

Ich bin - der geneigte Leser wird es vermutet haben - das, was im angelsächsischen Sprachraum gerne als "gearhead" bezeichnet wird... ein Ausrüstungsfetischist. Das macht mich zum Profi mit Ahnung oder zum Freak mit zuviel Geld auf dem Konto - je nachdem, welchen Kollegen man fragt. Jede Dienststelle hat ein paar Leute dieser Kategorie... wir sind die Typen, über deren Katalogstapel (und Gadgetsammlung am Einsatzkoppel) man einerseits schmunzelt, die man aber andererseits dann doch immer wieder um Rat fragt, wenn mal der Kauf einer neuen Taschenlampe ansteht.

Mir persönlich ist es schlicht und einfach wichtig, meine Arbeit durch die Verwendung von geeigneten Ausrüstungsgegenständen möglichst sicher und effektiv zu gestalten. Da die dienstliche Ausstattung in etlichen Belangen deutlich zu wünschen übrig läßt (und eine Behörde auf gutgemeinte Verbesserungsvorschläge einzelner Mitarbeiter regelmäßig so sensibel reagiert wie eine solide einbetonierte Eisenbahnschwelle), läuft das regelmäßig darauf heraus, daß ich Ausrüstung selbst kaufe und aus eigener Tasche bezahle. Das stört mich per se nicht wirklich, weil meine Sicherheit mir die zusätzlichen Ausgaben wert ist und die Beschäftigung mit diesem Thema mir auch nach einer zweistelligen Anzahl an Berufsjahren immer noch Freude macht.

In diesem Zusammenhang erreichen mich immer wieder Anfragen von unserem polizeilichen Nachwuchs, welche Produkte ich für welchen Zweck empfehlen würde. Kurz gesagt: gar keine!! Jawohl, ich rate jungen Kollegen im Praktikum kategorisch davon ab, sich privat irgendwelche Ausrüstungsgegenstände zu kaufen und sehe konsequent davon ab, ihnen irgendwelche Empfehlungen mitzugeben. Dafür gibt es zwei wichtige Gründe.

Erstens will die Frage bedacht werden, inwieweit die Verwendung eines konkreten privat beschafften Ausrüstungsgegenstand überhaupt erlaubt ist. Einige Sachen (wie z.B. Einsatzstiefel usw.) sind zweifelsfrei unproblematisch, andere sind rundheraus nicht gestattet (Holster, bestimmte Uniformteile und Bekleidungsgegenstände), und bei einigen anderen Gegenständen ist es unklar und abhängig vom Einzelfall (Handschuhe, Taschenlampen). Zweitens ist lange nicht alles, was der Ausrüstungsmarkt hergibt, gut und sinnvoll, und nicht jedes Produkt ist universell geeignet für jeden polizeilichen Einsatzzweck.

Man mag nun die Frage aufwerfen, ob ich damit nicht eine recht scheinheilige Position vertrete, da ich selber bekanntlich regen Gebrauch von verschiedensten privat beschafften Ausrüstungsgegenständen mache. Ich verfüge allerdings - im Gegensatz zu unseren jungen Leuten - über eine nicht ganz unerheblicher Dienst- und Einsatzerfahrung und kann insofern die Sinnhaftigkeit und Risiken eines solchen Einsatzes von privat beschaffter Ausrüstung aus einer ganz anderen Warte beurteilen. Davon abgesehen ist meine Rechtsposition als Beamter auf Lebenszeit im Fall eines Disziplinarverfahrens deutlich stabiler als die eines Berufsanfängers, und ich kann erheblich besser einschätzen, welche der zahlreichen innerbehördlichen Spielregeln "biegefähig" ist und welche nicht. Als Anwärter im Praktikum, der den rechtlichen Status eines Beamten auf Widerruf innehat, sollte man jedenfalls jegliches Verhalten, das womöglich im Widerspruch zu geltenden innerdienstlichen Vorschriften steht, tunlichst unterlassen.

In diesem Sinne empfehle ich jedem hoffnungsvollen jungen Kollegen, der voller Enthusiasmus in sein erstes Praktikum startet: arbeite erstmal mit dem, was der Dienstherr dir zur Verfügung stellt. Es spart dir nicht nur bares Geld, sondern auch eine Menge potentiellen Ärger. Du wirst in den ersten Monaten deiner Berufspraxis selbst vielfach die Möglichkeit haben, für dich selbst auszuloten, welche Anschaffungen sinnvoll sind und welche nicht. Weiterhin wirst du dir eine Vielzahl an privat beschafften Einsatzmitteln am Beispiel der Stammbeamten deiner Praktikumsdienststelle im praktischen Einsatz anschauen können. Und wenn du deine Ausbildung bzw. dein Studium erfolgreich abgeschlossen hast (und nicht früher), ist der passende Zeitpunkt gekommen, um unter Berücksichtigung dieser ersten Berufserfahrungen über den Kauf des einen oder anderen "taktischen Spielzeugs" nachzudenken.

P.S. Ja, ich weiß selber, daß es manchmal auch schlicht und einfach Spaß macht, die bunten Prospekte von COP GmbH, Recon Company, Blackhawk Industries & Co. durchzublättern...