Montag, 1. Dezember 2008

Erkältung

Immer, wenn du denkst, du hast langsam alles erlebt, kommt unter Garantie etwas um die Ecke, was dem Faß ein weiteres Mal den Boden ausschlägt... so auch in der polizeilichen Fortbildung. Neulich nacht spreche ich einen Kollegen von mir an und lege ihm nahe, die Gunst der (ruhigen) Stunde doch mal zu nutzen, um mit auf den Schießstand zu kommen und endlich mal wieder einen Trainingstermin wahrzunehmen. Wohlgemerkt, der Kollege hat nicht nur dieses Jahr noch nicht ein einziges Mal geschossen, sondern steht in unserem elektronischen Schießtrainingsnachweis überhaupt nicht drin. Man darf also mit Fug und Recht davon ausgehen, daß der gute Mann das letzte Mal mit seiner Dienstwaffe geübt hat, als der Trainer noch mit einer Schießkladde und einem Kuli herumrannte - was bei uns schon etliche Jahre her ist.

Es kommt natürlich, wie es kommen muß... der Kollege lächelt mich freundlich an und verkündet, das ginge nun leider gar nicht. Er sei nämlich erkältet, und wenn er beim Schießen nun einen Hustenanfall bekäme, sei ja nicht abzusehen, wo er überall versehentlich hinschießen würde. In einem unerwarteten Anfall von Diplomatie verzichte ich darauf, ihm zu erläutern, daß er in diesem Fall wohl kaum fahrtauglich ist und durch seine Autofahrt zum Dienst sicherlich den Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b) StGB verwirklicht hat. Ich bin mir allerdings auch nicht sicher, ob er die Ironie verstanden hätte.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein, daß mir neulich zufällig ein höchstrichterliches Urteil des US-amerikanischen Supreme Court in die Hände fiel, mit dem das Gericht den Begriff "failure to train" etablierte. Grob gesagt funktioniert das wie folgt: Schutzmann trifft Zwangsmaßnahmen gegen Bürger, der anschließend über ein irgendwie geartetes Aua jammert. Mittels eines windigen Winkeladvokaten verklagt der mündige Bürger nun... nicht etwa den Schutzmann (denn der hat ja nichts), sondern vielmehr die Behörde. Außerdem weist der besagte Winkeladvokat nach, daß die Behörde dem Schutzmann auf dem fraglichen Gebiet kein adäquates Training angedeihen lassen hat. Und KA-CHINGGG!!! Die Jury spricht dem Bürger 300 Trillionen Dollar Schmerzensgeld, Schadenersatz für entgangene Lebensfreude und Ausgleich für mangelnden Nachtschlaf zu und der Polizeichef und der Bürgermeister bekommen simultan eine Herzattacke.

Man mag über das amerikanische Zivilrechtssystem mit seinen monströsen Schadensersatzsummen, seiner jenseits jeglicher Vernunft befindlichen Haftungsgrundsätze und seinen von Laien gefällten Urteilen geteilter Meinung sein... aber zumindest führt es dazu, daß Polizeibehörden auf einmal ein Interesse daran haben, jeden einzelnen Beamten so fortzubilden, daß ihnen vor Gericht keine haftungsrechtlichen Versäumnisse vorgeworfen werden können.

Ich frage mich, ob der besagte Kollege auch erkältet gewesen wäre, wenn sein fortgesetztes Nichterscheinen beim Schießtraining von der Behörde (im Bewußtsein einer möglichen Haftung) mit einem Disziplinarverfahren und einer anschließenden Kürzung der Dienstbezüge belohnt würde. Meine Vermutung ist, daß ich in diesem Fall Zeuge einer mirakulösen Wunderheilung geworden wäre...

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