Dienstag, 14. April 2009

Mensch gegen Maschine

Fahrradfahrer sind eine seltsame Spezies. Tag- und nachtaktiv und mit einem lautlosen Gang gesegnet, bewegen sie sich in ihrem natürlichen Lebensraum, den innerstädtischen Verkehrswegen, oftmals auf höchst konspirative Art und Weise. Unverhofft bricht ein Rudel zwischen den geparkten PKWs hervor. überquert die Fahrbahn und verschwindet schon wieder hinter der nächsten Ecke - auf der Fährte eines Döners, eines Sechserträgers oder einiger paarungsbereiter Artgenossen.

Viele von ihnen sind bekanntlich nachts regelmäßig ohne Beleuchtung unterwegs. Manche Kollegen begnügen sich in diesem Fall mit einem herzlichen, aus dem Seitenfenster herausgebrüllten "EY! Licht an oder Schieben!", während andere (darunter meine Wenigkeit) sich auch regelmäßig die Mühe machen, auszusteigen und dem lichtscheuen Verkehrsteilnehmer ein Knöllchen zu schreiben.

Die Reaktionen beim betroffenen Radfahrer sind... nun ja, gemischt. Während die meisten das Ticket kommentarlos bis schuldbewußt zur Kenntnis nehmen und bezahlen, gibt es auch immer wieder solche, die ihrem Unmut Luft machen. Unangefochten auf Platz 1 der Ausreden-Hitliste steht "Herr Wachtmeister, ich schwöre, mir ham se das Licht eben gerade erst am Bahnhof kaputtgemacht/geklaut!"

Leute, wenn ich die Zahlen, die mir begegnen, mal überschlagsweise zusammenrechne, komme ich zu dem Schluß, daß es in meiner Stadt eine Firma mit mindestens 100 Beschäftigten geben muß, die allesamt 40 Stunden die Woche im Akkord daran mitarbeiten, die Lampen von sämtlichen am Bahnhof abgestellten Fahrrädern abzutreten. Anders kann ich mir dieses Ausmaß beim besten Willen nicht vorstellen. Im Ernst, ein einfaches "Tut mir leid, hab ich vergessen zu reparieren" tuts auch und beleidigt nicht meine und eure Intelligenz.

Gerne genommen wird auch immer wieder "Haben Sie nichts besseres zu tun? Ist ja wieder mal klar, die ganzen Kinderschänder/Mafiosi/Drogendealer/kriminellen Ausländerstraßengangs/Nazis lassen Sie einfach links liegen, und ich armer Steuerzahler/Deutscher/Migrant muß für so eine Lappalie blechen!" Der freundliche Hinweis, daß die Anzahl der im Moment an diesem Ort befindlichen Kinderschänder, Drogenmafiosi und Nazis ziemlich entschieden gegen Null strebt, und daß überdies kein einziger Cent des Geldes in meine Tasche oder die meiner Dienststelle fließt, trägt meistens nicht zum Verständnisgewinn beim Gegenüber bei.

Lieber abgezockter Fahrradfahrer, gefrusteter Verkehrsteilnehmer oder sonstiger verärgerter Bürger, ich möchte deine Aufmerksamkeit aus gegebenem Anlaß mal auf einen klitzekleinen, direkt vor deiner Nase liegenden Aspekt des Themas richten. Ich schreibe diese Tickets nicht, weil ich so einen Spaß daran habe, andauernd auszusteigen und diese Diskussionen mit dir zu führen. Tatsächlich mache ich es deswegen, weil ich dir damit einen Gefallen tue.

Das ist blödes Gerede, sagst du? Womöglich. Ich würde zur Klärung dieser Angelegenheit sinnvollerweise mal jemanden befragen, der es wissen dürfte, nämlich den Radfahrer, dessen Verkehrsunfall wir neulich aufnehmen durften... nachdem er unbeleuchtet vor einen Vierzigtonner gefahren war. Unglücklicherweise kann er uns momentan nicht sagen, ob er stattdessen nicht vielleicht lieber ein Knöllchen und eine Aufforderung zum Schieben des Fahrrads gehabt hätte, weil er im Koma liegt.

Montag, 13. April 2009

Superman

... gibt es tatsächlich. Doch, wirklich. Ich habe ihn neulich selbst getroffen. Na ja, zumindest hielt der Betreffende sich offensichtlich für selbigen. Daß er nicht dessen übermenschliche körperliche Fähigkeiten besitzt, war dann natürlich eine unschöne Überraschung für ihn.

Alles fängt damit an, daß mein Partner und ich zu einer Streitigkeit in einem Sozialwohnungsblock fahren. An der Wohnungstür empfängt uns bereits der Bewohner und erklärt uns, er habe gerade Streß mit seinem Gast gehabt, und habe ihm deswegen leider was an die Ohren hauen müssen, weil dieser vollkommen durchdrehen würde. Ich gehe also ins Wohnzimmer, wo ich den besagten Gast erblicke, der in Unterwäsche mit seiner Freundin auf dem Sofa sitzt.

Kaum sieht mich der junge Mann, bekommt er auf einmal riesengroße panische Augen, springt auf und rennt auf den Balkon. Als ich dort ankomme, sehe ich nur noch, wie er sich gerade über die Brüstung schwingt. Dann sind da - wie in einem schlechten Film - zwei Reihen Finger auf der Brüstung... und auf einmal sind sie weg. Eine Sekunde später ist von unten ein dumpfer Aufprall zu hören. Ich schließe daraus, daß die Superman-Nummer ganz augenscheinlich in die Hose gegangen ist, und leuchte mit meiner Taschenlampe nach unten. Im Lichtkegel sehe ich, wie sich das verhinderte Flieger-As sieben Meter weiter unten auf dem Rasen windet und dabei lauthals jammert.

Ich fordere über Funk einen Rettungswagen an, und während noch ich spreche, rappelt sich Superman plötzlich auf und humpelt weiterhin fluchend und jammernd über die Wiese davon. Nun ja, zwanzig Meter weiter hat mein Partner (der schon mal nach unten geflitzt ist, als er den Alarmstart unseres Nachwuchspiloten
sieht) ihn dann eingefangen. Wie nicht anders zu erwarten war, hat unser Kunde einer fröhlichen Mischung aus Alkohol, Gras und Kokain fleißig zugesprochen und ist uns darüberhinaus als ohnehin nicht ganz dicht bekannt.

Überraschend ist hingegen die Tatsache, daß er sich nichts bei seinem Stunt getan hat. Der Rettungswagen bringt ihn ins Krankenhaus, das er nach einer Stunde zwar nicht ganz nüchtern, aber auf eigenen Beinen wieder verläßt.

Ach ja, warum er diesen Versuch einer fliegerischen Höchstleistung unternommen hat, wissen wir immer noch nicht, denn er ist weder Beschuldigter noch hat er irgendwelche Dinge dabei, die er nicht hätte haben dürfen. Macht aber nichts, er weiß es nämlich vermutlich selber nicht. Zumindest erscheint er einige Stunden später auf der Dienststelle und fragt den Chef der Frühschicht, was denn heute nacht eigentlich losgewesen wäre, er habe da eine ziemlich lange Erinnerungslücke...