Mittwoch, 31. Dezember 2008

Guten Rutsch

2008 ist fast zu Ende, die Sonne des letzten Tages im Jahr geht gerade unter, die allermeisten Leute haben Feierabend und sitzen zuhause, während sie darauf warten, daß die Party anfängt, und einige Zeitgenossen bereiten sich auf den Nachtdienst vor... Zeit für einen kleinen Rückblick.

Das vergangene Jahr hat zumindest in der medialen Darstellung deutliche Akzente mit dem Thema "gewalttätige Straßenkriminalität" gesetzt. Ins Koma geprügelte Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln, öffentlich ausgetragene Ausschreitungen zwischen Milieugruppierungen um die Vorherrschaft im Nachtleben, "happy slapping" auf Schulhöfen und Gangs von jugendlichen Intensivtätern in großstädtischen Problembezirken bestimmten die Berichterstattung und die öffentliche Diskussion.

Da die PKS-Zahlen für 2008 noch nicht veröffentlicht sind, läßt sich im Moment nicht sagen, ob die Aufmerksamkeit, die diesem Thema zuteil geworden ist, auch einen tatsächlichen zahlenmäßigen Anstieg wiederspiegelt. Allerdings indiziert die Entwicklung der letzten paar Jahre, daß dies durchaus der Fall sein könnte.

Zwar hat sich die Häufigkeitszahl (Anzahl der Straftaten im Verhältnis zur Bevölkerungsmenge) zwischen 2006 und 2007 insgesamt um 0,15 % verringert, allerdings ist die Anzahl der Gewaltdelikte meßbar (Körperverletzungsdelikte bsp. um 2,4 %) gestiegen und tut dies seit Jahren.

Weiterhin sind auch die Zahlen für Widerstandsdelikte seit Jahrzehnten kontinuierlich im Anstieg begriffen. 2007 waren es über 26.000 Fälle, was über die letzten zehn Jahre einen Anstieg im deutlich zweistelligen Bereich bedeutet. Und auch jenseits aller Statistiken berichten Polizeibeamte aus allen Teilen Deutschlands, aus Stadtstaaten und Flächenländern, aus Schwerpunktdienststellen und ruhigen Landrevieren, daß das Ausmaß an Gewalt, das ihnen bei der Durchführung ihrer Aufgaben entgegengebracht wird, immer mehr ansteigt.

In bestimmten großstädtischen Milieus ist es mittlerweile ein beliebtes Hobby, durch einen fingierten Notruf das Erscheinen eines Streifenwagens zu provozieren, dann im Schutz der Gruppe die verbale, aber auch körperliche Auseinandersetzung mit den Beamten zu suchen und die gesamte Szene mit einem Handy zu filmen. In zwei bekantgewordenen Fällen war im vergangenen Jahr auch eine Tötung der eingesetzten Beamten geplant.

Natürlich ist diese Entwicklung ein gesamtgesellschaftliches Problem, das weder Polizei noch Justiz sinnvoll lösen kann. Allerdings denke ich, daß die justizielle Bewertung von Widerstands- und Körperverletzungsdelikten maßgeblich dazu beigetragen hat, daß wir heute an diesem Punkt stehen. Wenn schwerste Gewalttaten, die bei den Opfern lebenslang bleibende Schäden hinterlassen, mit einer Bewährungsstrafe geahndet werden und gewalttätiger Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen regelmäßig mit einer Einstellung endet, fällt einfach das letzte bißchen Abschreckung weg, das unser Staat noch bieten kann.

Es ist kein Zufall, daß insbesondere Täter mit bestimmtem Migrationshintergrund regelmäßig der Polizei gegenüber offen aussprechen, "Wir haben keine Angst vor euch, denn uns passiert ja doch nichts." Diese Ausprägung der Rechtsprechung ist dem Bürger zunehmend nicht mehr zu vermitteln, weswegen unsere Glaubwürdigkeit im täglichen Dienst nicht nur gegenüber dem Täterklientel, sondern auch gegenüber den Opfern, dem gesetzestreuen Steuerzahler massiv leidet.

In diesem Sinne wünsche ich mir für das kommende Jahr


- für meine Kollegen und mich ein bißchen mehr Rückhalt in Politik, Justiz und Polizeiführung

- für unsere Richter und Staatsanwälte etwas mehr Einsicht in die Realitäten des Geschehens auf der Straße (regelmäßige Hospitationen auf einem Streifenwagen in einer beliebigen größeren Stadt in einem Wochenendnachtdienst sind da durchaus hilfreich)

- für unsere "Kundschaft" eine deutlich schnellere Aburteilung und spürbar härtere Sanktionierung

- und last but not least immer eine sichere und gesunde Heimkehr für alle diejenigen, die regelmäßig da draußen ihre Knochen riskieren - ihr wißt, wer ihr seid... bleibt in Form und bleibt sicher!


Das meiste davon kann ich leider nicht beeinflussen, aber ich werde auch im neuen Jahr wieder mein Möglichstes tun, um zumindest letzteres für mich selbst und meine Kollegen zu gewährleisten.


Guten Rutsch!!!

Donnerstag, 25. Dezember 2008

Feliz navidad

Frohe Weihnachten, liebe Leser... ich weiß nicht, wie ihr euer Weihnachtsfest verbracht habt, aber meins erinnerte mich etwas an das bekannte amerikanische Weihnachtslied "The 12 Days Of Christmas". Bei mir gab es


- einen unglückseligen Einbrecher (weil auf frischer Tat festgenommen)

- zwei Knöllchen für Verkehrsteilnehmer. die sich so sehr danebenbenahmen, daß sie selbst meine weihnachtliche Gnade verwirkt hatten

- drei Gramm Marihuana, die ein unachtsamer Discobesucher bei sich hatte

- vier Finger, die sich mein Kollege bei der Verfolgung des erwähnten Einbrechers aufschnitt, als er unglücklich landete

- fünf Kurven, durch die ich einem flüchtenden Fahrradfahrer hinterherfahren mußte, bevor er sich endlich auf die Nase legte (und alles für ein 20-Euro-Ticket)

- sechs Pfund, die ich beim Fräsen einer Schneise durch unser Weihnachtsdienstbuffet vermutlich zugenommen habe

- sieben Anzeigeerstatter (was treibt Leute dazu, ausgerechnet in der Heiligen Nacht die Polizei mit ihren privaten Problemen zu erfreuen?)

- acht Stunden, die ich der verprügelten Ehefrau maximal gebe, bevor sie ihn wieder in die Wohnung läßt

- neun blöde Sprüche auf ebensovielen Metern Disco-Schlange (warum halten sich Besoffene eigentlich immer für konkurrenzlos witzig?)

- zehn Verkehrskontrollen, ohne daß auch nur ein einziger Fahrer unter Stoff gestanden hätte

- elf Mitstreiter, die sich mit mir den Weihnachtsabend um die Ohren geschlagen haben

- zwölf Stunden Nachtdienstzeit für Zuschläge, für die in der freien Wirtschaft nicht mal eine ungelernte Hilfskraft aufstehen würde


Merry Christmay, y'all!

Montag, 22. Dezember 2008

Scharfe Gewalt

Wenige Tage nach dem Mordversuch an Herrn Mannichl in Passau ist auch in Berlin wieder ein Polizeibeamter niedergestochen worden. Da das Opfer kein "hohes Tier" und der Täter kein Rechtsextremist war, ist das Medienecho interessanterweise um ein Vielfaches geringer. Anscheinend gehört es für die Öffentlichkeit zum Berufsrisiko eines Polizisten, sich abstechen zu lassen, wenn der Betreffende auf der Straße arbeitet und keine höhere Führungsposition innehat.

Der Täter wurde zusammen mit einem Komplizen von einem Anwohner dabei beobachtet, wie er eine Kamera aus einem abgestellten Fahrzeug entwendete und anschließend in eine Wohnung ging. Als die eingesetzten Streifen nach erfolglosem Klingeln und Klopfen die Tür aufbrachen, stach der Täter dem ersten Zivilfahnder, der die Wohnung betrat, mehrfach mit einem Messer in die Brust, bevor er überwältigt und festgenommen werden konnte. Der Kollege ist mittlerweile zum Glück außer Lebensgefahr.

Diese Episode zeigt wieder einmal, wie sehr unsere "Kundschaft" auch schon bei banalsten Anlässen bereit ist, mit brutaler Gewalt gegen Polizeibeamte vorzugehen. Weiterhin zeigt sie aber auch, welches Gefahrenpotential bei Einsätzen in beengten, unübersichtlichen Umgebungen (wie es Wohngebäude in aller Regel sind) immer im Hintergrund lauert.

Und sie macht deutlich, daß eine Schußwaffe ein Einsatzmittel ist, das man nicht nur als weit entlegene Option für einen wie auch immer gearteten "sowieso nie eintretenden" Weltuntergangsfall mit sich herumtragen sollte, sondern ständig und jederzeit so handhaben sollte, daß es in ungeklärten Einsatzlagen mit Konfliktpotential (also praktisch in jedem einzelnen Routineeinsatz) binnen kürzester Zeit reaktionsschnell zum Einsatz gebracht werden kann. Und das impliziert, daß man die Waffe je nach Lage nicht erst dann zieht, wenn es zu spät ist und man bereits hinter die Reaktionskurve zurückgefallen ist, sondern sie unter Umständen schon vorher präventiv in Bereitschaft hält.

Samstag, 20. Dezember 2008

Home, sweet home

Im bayerischen Passau ist ein Polizeibeamter niedergestochen und schwer verletzt worden. Das Opfer ist Polizeidirektor Alois Mannichl, Leiter der Polizeidirektion Passau. Der Täter ist bislang noch nicht bekannt (zumindest was die Öffentlichkeit angeht), wird aber augenscheinlich der rechtsextremen Szene zugerechnet. Zumindest wird dies durch die Täterbeschreibung und die Tatsache, daß der Täter das Opfer bei der Tatausführung als "linkes Bullenschwein" beschimpft haben soll, indiziert. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen verwendete der Täter ein Brotmesser, das das Opfer selbst für Gäste und Nachbarn im Eingangsbereich seines Hauses bereitgelegt hatte.

Herr Mannichl hat in seiner Tätigkeit als Leiter der PD Passau u.a. maßgeblich dadurch von sich reden gemacht, daß er unter Einbindung der Ressourcen seiner Dienststelle auf energische Art und Weise gegen rechtsextreme Bestrebungen und Strukturen in seinem Zuständigkeitsbereich vorgegangen ist und weder privat noch dienstlich die Konfrontation mit diesem Klientel gescheut hat.

Die vereinten Stimmen aus den Medien und der politischen Landschaft zeigen sich betroffen und schockiert darüber, daß die militante Rechte offensichtlich inzwischen nicht mehr davor zurückschreckt, gewaltsam und mit Tötungsabsicht gegen exponierte Vertreter des "Systems" vorzugehen. Und diese Sorge ist zweifelsohne berechtigt und angebracht.

Was ich persönlich jedoch mindestens ebenso bedeutsam finde und was vor allem nicht nur eine herausgehobene Symbolfigur wie Herrn Mannichl betrifft, sondern viele tausende unbekannte Polizeibeamte in ganz Deutschland, ist die Tatsache, daß der Angriff auf ihn nicht im Dienst, im Kontext eines Einsatz oder im Umfeld seiner Dienststelle geschehen ist, sondern zuhause im Bereich seiner privaten Lebensführung. Vertreter einer gewalttätigen und kriminellen Subkultur haben den ernsthaften Versuch unternommen, einen Polizeibeamten auf der Schwelle seines eigenen Hauses zu töten.

Nicht jeder von uns befindet sich in einer derart prominenten Position wie Herr Mannichl... tatsächlich führen die allermeisten von uns ein relativ unspektakuläres Leben und beschäftigen sich dienstlich mit ziemlich normalen und wenig herausstechenden Vorgängen. Wir sollten uns aber ab und zu daran erinnern, daß diese Tatsache nicht zwangsläufig bedeutet, daß uns niemand etwas Böses will.

Jeder Polizeibeamte, der einige Jahre Diensterfahrung hat, ist schon mal von seinem Gegenüber bedroht worden. In aller Regel handelt es sich dabei um leeres Gerede und bloßes Imponiergehabe, und so gehen die meisten Kollegen auch damit um. Wir dürfen aber eins nie vergessen: unser polizeiliches Gegenüber besteht zu einem nicht geringen Anteil aus habituellen Gewalttätern, die regelmäßig vollkommen irrationale Dinge tun, ohne auch nur ansatzweise daraus zu lernen. Unprovozierte Gewalt gegen Polizeibeamte und ihre Familien auszuüben, mag für den kühlen Rechner eine vollkommen unlogische Entscheidung sein... aber es gibt trotzdem Leute in den diversen kriminellen Milieus, für die ein derartiges Vorhaben durchaus eine bedenkenswerte Idee darstellt. Und es hat immer wieder Fälle gegeben, in denen versucht wurde, diese Ideen in die Tat umzusetzen.

Wir müssen akzeptieren, daß jeder einzelne von uns in dem Moment, in dem er in unsere Firma eintritt, sich selbst eine Zielscheibe auf den Rücken malt. Das ist ein unvermeidlicher Teil des Jobs. Wir schulden es aber unseren Familien, Freunden und uns selbst, daß wir dieses Risiko ernstnehmen und es nicht einfach mit einem Achselzucken abtun. Das bedeutet, daß wir auf die Möglichkeit vorbereitet sein sollten, daß jemand, mit dem wir dienstlich zu tun haben, eine Verbindung zwischen unserem beruflichen und unserem privaten Lebenm herstellt.

Und ganz konkret heißt es, gewohnheitsmäßig mißtrauisch zu sein... die Gegensprechanlage zu benutzen, durch den Türspion zu schauen, eine Sicherheitskette vorzulegen, sich beim Betreten und Verlassen seines Heims umzuschauen, sich seiner Umgebung bewußt zu sein, und auch im privaten Bereich Verteidigungsmittel bereitzuhalten. Das kann z.B. bedeuten, seine Dienstwaffe nach Feierabend nicht auf der Dienststelle einzuschließen, sondern sie mit nach Hause zu nehmen.

Und es heißt weiterhin, einem potentiellen Täter nicht auch noch ein perfektes Tatmittel an derjenigen Stelle des Hauses bereitzulegen, an dem er mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auf uns treffen wird.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Alle Jahre wieder...

... kommt nicht nur der Weihnachtsmann, sondern ab und zu auch eine neue Beurteilungsrunde. Für meine geschätzten nichtpolizeilichen Leser: jeder Polizeibeamte wird in regelmäßigen Abständen (je nach Behörde alle zwei oder drei Jahre) von seinen Vorgesetzten beurteilt und bekommt eine Note, die u.a. über Dinge wie die Beförderungsreihenfolge entscheidet.

Traditionell vertritt die Behördenleitung dabei nach außen die Version, "Bei uns wird streng nach Eignung, Leistung und Befähigung beurteilt, genauso wie es im Grundgesetz steht", während sie tatsächlich intern so beurteilt, wie es ihr personalplanungsmäßig in den Kram paßt. Das Spaßige an der Sache ist nämlich, daß dienstliche Beurteilungen auf dem Rechtswege zumindest inhaltlich kaum anfechtbar sind, weil die Verwaltungsgerichte sich hüten, Mutmaßungen darüber anzustellen, ob der Vorgesetzte die Leistungen seines Mitarbeiters im Beurteilungszeitraum korrekt eingeschätzt hat. Sofern die Beurteilung also keine formalen oder verfahrensrechtlichen Fehler aufweist, ist sie im Grunde in Stein gemeißelt.

Da unsere oberste Heeresleitung aber bekanntlich auch mit der Gabe gesegnet ist, mittels Blick in die Kristallkugel glasklar zu erkennen, wieviele ihrer Schäflein sehr gute, gute, befriedigende, ausreichende Arbeit usw. leisten, hat sie in ihrer unerschöpflichen Weisheit Quoten geschaffen, aus denen sich ergibt, wieviele Beamte welche Note bekommen dürfen. Da diese Quoten bis auf die örtliche Ebene heruntergebrochen werden, kann der beurteilende Vorgesetzte selbst überhaupt nicht frei entscheiden, wie er wen beurteilt.

Die oben erwähnte Personalplanung sieht in den meisten Fällen so aus, daß die Behörde insbesondere bei den unteren Dienstgraden anstrebt, die Mitarbeiter gemäß ihrem Dienstalter zu befördern. Konkret bedeutet das, daß der beurteilende Vorgesetzte mitsamt seinem Hofstaat eine Liste aufstellt, wer denn wann "dran" ist. Diese Liste wird dann quotenmäßig aufgeteilt, woraus sich die tatsächliche Note jedes einzelnen Beamten ergibt. Im Umkehrschluß ergibt das - der geneigte Leser ahnt es schon - die unstrittige Tatsache, daß die Note nicht das Produkt der Leistungen und Fähigkeiten des Mitarbeiters, sondern vielmehr ein Ergebnis der Kombination seines Dienstalters mit einem Quotenschema ist.

Nachdem nun die Beurteilungen feststehen, wird als letztes der Beurteilungsbogen (der diverse Einstufungen des Mitarbeiters in verschiedenen Tätigkeitsfeldern und Beurteilungskriterien beinhaltet) so ausgefüllt, daß es "paßt". Schlußendlich wird die Beurteilung dem Beamten eröffnet... falls der Vorgesetzte (wie mein eigener Chef) ehrlich ist, erklärt er zumindest das oben geschilderte Prozedere, falls nicht, denkt er sich zum Ärger seiner Belegschaft irgendwelche Stories aus.

Das alles ist nun im Grunde nicht eben unbekannt, sondern im Polizeidienst altbekannte Realität. Jeder Kollege, der seine Laufbahnausbildung hinter sich gebracht hat und mit einigermaßem wachen Augen durch sein dienstliches Alltagsleben geht, weiß das eigentlich. Um so mehr wundert mich das Ausmaß des Geschimpfe und Gemeckere, das sich nach der aktuellen Beurteilungsrunde erhoben hat. Anscheinend hegen meine Mitstreiter deutlich mehr Illusionen, als ich ihnen zugetraut hätte, was die Anerkennung ihrer Fähigkeiten und Leistungen durch ihren Arbeitgeber angeht.

Man kann nun trefflich darüber lamentieren, daß sich die von Politikern aller Parteien vollmundig geforderte leistungsorientierte Beurteilung (und damit Bezahlung) in der innerbehördlichen Realität derart wenig wiederspiegelt. Alles Lamentieren wird aber nichts daran ändern, daß der Dienstherr auch weiterhin dafür sorgen wird, daß zumindest auf der Ausführungsebene der Polizei nach sozialen Kriterien befördert wird. Das mag zwar eine gewisse (relativ geringe) Anzahl von tatsächlichen oder eingebildeten Hochleistungstypen verärgern und demotivieren, aber die große Masse der Polizei besteht aus Leuten, die durchschnittliche Arbeit leisten, ohne dabei Spitzenleistungen zu erbringen... und die meisten von ihnen dürften es recht komfortabel finden, sich ihre Beförderung durch kontinuierliche Anwesenheit "ersitzen" zu können. Leistungsorientierte Beurteilungen mögen zu einer Qualitätssteigerung führen, soziale Beurteilungen hingegen sorgen für Ruhe im Stall... was es der Führungsetage wiederum leichter macht, trotz Kürzungen und anderen unbequemen Änderungen einigermaßen streßfrei zu regieren. Wer sich etwas anderes einbildet, lügt sich selber in die Tasche.

Ich für meinen Teil habe mich schon vor langer Zeit von dem Gedanken verabschiedet, realistisch und individuell beurteilt zu werden. Darüber bin ich allerdings auch recht froh, weil es mir ein recht entspanntes Berufsleben beschert hat und es mir ermöglicht, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren (und nicht darauf, wie selbige von meinem Chef wahrgenommen wird). Ich gebe allerdings zu, daß die Tatsache, daß ich keinerlei Karriereambitionen im herkömmlichen Sinne habe und somit über Beurteilungen nicht erpreßbar bin, mir dabei nicht unwesentlich geholfen hat.

Samstag, 6. Dezember 2008

Höhere Mathematik

Nach langem, zähen Ringen hat die Bundespolizei beschlossen, ihr altes Waffensystem SIG-Sauer P 225 (behördenintern als P6 designiert) nach nunmehr dreißig Jahren endlich aufs Altenteil zu schicken und durch die Walther P99 QA zu ersetzen. Die neue Dienstwaffe bietet (wie die übrigen gängigen Dienstwaffen der aktuellen Generation) ein Polymergriffstück, ein Abzugssystem mit gleichbleibendem Abzugsgewicht bei jedem Schuß und ein doppelreihiges Magazin.

Das ist insbesondere deswegen erfreulich, weil die neue Waffe mit einer Magazinkapazität von fünfzehn Schuß ihrem Anwender im Vergleich zur P6 nahezu den doppelten Munitionsvorrat bereitstellt. Meine Erfahrungen im dienstlichen FX-Training (insbesondere auf den Amok-/Notzugriff-Seminaren) haben mir nachdrücklich vor Augen geführt, daß in einer derartigen Lage vielfach ein Munitionsverbrauch auftritt, der oftmals deutlich unterschätzt wird. Hochstreß, Bewegung, eine dynamische Umgebung und ein zurückschießender Gegner sorgen dafür, daß die Trefferwahrscheinlichkeit im Realfall (und auch in einer entsprechend realistischen Simulation) deutlich schlechter ausfällt als auf dem Schießstand, und daß insgesamt deutlich mehr Schüsse abgegeben werden.

Man möchte also nun meinen, daß die Einführung der neuen Dienstwaffe in dieser Beziehung ihrem Träger eine deutliche Sicherheitsreserve verschafft. Weit gefehlt... die Profis vom Beschaffungswesen haben nämlich sogleich dafür gesorgt, daß dem hoffnungsfrohen Schutzmann dieser Zahn schnellstens gezogen wird. Man hat sich in diesen Kreisen nämlich messerscharf ausgerechnet: "Fünfzehn Schuß sind ja beinahe genausoviel wie die zweimal acht Schuß der alten Plempe... das reicht ja locker." Folgerichtig wurde aus Kostengründen das Reservemagazin für Einsatzkräfte außerhalb von Spezialeinheiten ersatzlos gestrichen. Stattdessen werden zukünftig einige zusätzliche Magazine als Pool auf der Dienststelle "für besondere Lagen" vorgehalten. Das ist natürlich eine fantastische Idee, weil besagte "besondere Lagen" ja bekanntlich die Eigenschaft haben, sich immer rechtzeitig anzukündigen.

Jenseits dieser unsäglich schlechten Milchmädchenrechnung gibt es aber noch ein weiteres Problem. Bestimmte Waffenstörungen machen es für ihre einsatzmäßige Behebung erforderlich, daß das Magazin ausgeworfen und fallengelassen und die Waffe mit dem Reservemagazin wieder geladen wird. Ist ein solches nicht vorhanden, kann der Anwender seine Waffe vor Ort entweder überhaupt nicht oder nur unter erheblichem Zeitverzug wieder einsatzbereit machen, was im Ernstfall lebensgefährlich sein kann.

Damit ist allerdings der Gipfel des Unsinns noch lange nicht erreicht. Aktuellen Pressemeldungen zufolge wird die Bundeszollverwaltung, die unlängst entschieden hat, ihre Einsatzkräfte anstelle der P6 zukünftig mit der Heckler & Koch P 30 auszustatten, ebenfalls nur ein Magazin pro Beamter beschaffen UND selbiges nur mit zwölf Patronen anstelle der möglichen fünfzehn füllen lassen. Es entzieht sich vollständig meinem Verständnis, wie man eine derartige Entscheidung treffen kann.

Hoffnung gibt mir hingegen, daß die Polizei Baden-Württenberg das Thema ihrerseits in einer Pressemitteilung aufgegriffen und verkündet hat, daß sie keinesfalls die Sicherheit ihrer Mitarbeiter für marginale finanzielle Einsparmöglichkeiten kompromittieren wird, und daß ein Reservemagazin zur Grundausstattung jedes Polizeibeamten gehört. Anscheinend haben nicht alle Beschaffer den Kontakt zur Praxis vollständig verloren.

Montag, 1. Dezember 2008

Erkältung

Immer, wenn du denkst, du hast langsam alles erlebt, kommt unter Garantie etwas um die Ecke, was dem Faß ein weiteres Mal den Boden ausschlägt... so auch in der polizeilichen Fortbildung. Neulich nacht spreche ich einen Kollegen von mir an und lege ihm nahe, die Gunst der (ruhigen) Stunde doch mal zu nutzen, um mit auf den Schießstand zu kommen und endlich mal wieder einen Trainingstermin wahrzunehmen. Wohlgemerkt, der Kollege hat nicht nur dieses Jahr noch nicht ein einziges Mal geschossen, sondern steht in unserem elektronischen Schießtrainingsnachweis überhaupt nicht drin. Man darf also mit Fug und Recht davon ausgehen, daß der gute Mann das letzte Mal mit seiner Dienstwaffe geübt hat, als der Trainer noch mit einer Schießkladde und einem Kuli herumrannte - was bei uns schon etliche Jahre her ist.

Es kommt natürlich, wie es kommen muß... der Kollege lächelt mich freundlich an und verkündet, das ginge nun leider gar nicht. Er sei nämlich erkältet, und wenn er beim Schießen nun einen Hustenanfall bekäme, sei ja nicht abzusehen, wo er überall versehentlich hinschießen würde. In einem unerwarteten Anfall von Diplomatie verzichte ich darauf, ihm zu erläutern, daß er in diesem Fall wohl kaum fahrtauglich ist und durch seine Autofahrt zum Dienst sicherlich den Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b) StGB verwirklicht hat. Ich bin mir allerdings auch nicht sicher, ob er die Ironie verstanden hätte.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein, daß mir neulich zufällig ein höchstrichterliches Urteil des US-amerikanischen Supreme Court in die Hände fiel, mit dem das Gericht den Begriff "failure to train" etablierte. Grob gesagt funktioniert das wie folgt: Schutzmann trifft Zwangsmaßnahmen gegen Bürger, der anschließend über ein irgendwie geartetes Aua jammert. Mittels eines windigen Winkeladvokaten verklagt der mündige Bürger nun... nicht etwa den Schutzmann (denn der hat ja nichts), sondern vielmehr die Behörde. Außerdem weist der besagte Winkeladvokat nach, daß die Behörde dem Schutzmann auf dem fraglichen Gebiet kein adäquates Training angedeihen lassen hat. Und KA-CHINGGG!!! Die Jury spricht dem Bürger 300 Trillionen Dollar Schmerzensgeld, Schadenersatz für entgangene Lebensfreude und Ausgleich für mangelnden Nachtschlaf zu und der Polizeichef und der Bürgermeister bekommen simultan eine Herzattacke.

Man mag über das amerikanische Zivilrechtssystem mit seinen monströsen Schadensersatzsummen, seiner jenseits jeglicher Vernunft befindlichen Haftungsgrundsätze und seinen von Laien gefällten Urteilen geteilter Meinung sein... aber zumindest führt es dazu, daß Polizeibehörden auf einmal ein Interesse daran haben, jeden einzelnen Beamten so fortzubilden, daß ihnen vor Gericht keine haftungsrechtlichen Versäumnisse vorgeworfen werden können.

Ich frage mich, ob der besagte Kollege auch erkältet gewesen wäre, wenn sein fortgesetztes Nichterscheinen beim Schießtraining von der Behörde (im Bewußtsein einer möglichen Haftung) mit einem Disziplinarverfahren und einer anschließenden Kürzung der Dienstbezüge belohnt würde. Meine Vermutung ist, daß ich in diesem Fall Zeuge einer mirakulösen Wunderheilung geworden wäre...