Mittwoch, 30. Dezember 2009

Luxusresort

Als solches scheint der eine oder andere mündige Bürger meine Dienststelle anzusehen. Warum das so ist, liegt deutlich jenseits meines Begriffshorizonts. Immerhin sind die Räumlichkeiten, in denen Besucher unseres gastlichen Hauses untergebracht werden, doch eher beengt. Außerdem beschränkt sich das Mobiliar auf eine gemauerte Pritsche, die Bewohner der Nachbarsuiten machen abwechselnd durch brüllende Tobsuchtsanfälle und minutenlanges An-die-Tür-Trommeln auf sich aufmerksam, und das Animationsprogramm besteht aus - nun ja, aus uns eben.

Trotz alledem treffe ich auf Schritt und Tritt irgendwelche Kunden von uns, die solange durch Wort und Tat ihren sehnlichen Wunsch nach Unterbringung in unseren heiligen Hallen ausdrücken, bis wir diesem nachkommen. Meistens beginnt es als vollkommene Banalität und entwickelt sich dann weiter bis hin zu einer ausgewachsenen Forderung.

Da klingele ich z.B. an der Wohnungstür eines "Klienten", um ihn höflich darauf hinzuweisen, daß das lautstarke Abspielen von Punkrock an einem Sonntagabend kurz vor Mitternacht nur bedingt mit gutnachbarschaftlichem Verhalten vereinbar ist. Sein verwirrter Blick signalisiert mir, daß ihm das Konzept des Montag-morgens-früh-Aufstehen-Müssens etwa so fremd ist wie mir die Heiratsriten der Inuit. Offensichtlich müssen wir einen äußerst sympathischen Eindruck gemacht haben, denn kaum sind wir wieder zwei Treppenstiegen entfernt, signalisiert der Musikfreund uns durch erneutes Aufdrehen der Lautstärke, daß er sich gerne weiter mit uns unterhalten möchte.

Selbstverständlich kommen wir dem Wunsch unverzüglich nach. Immerhin ist das verkannte DJ-Genie ein Steuerzahler (wie einer seiner Gäste nicht müde wird, uns zu erklären). Ich kann mir die Feststellung nicht verkneifen, daß das gezahlte Steuervolumen hier wohl in erster Linie aus der Branntweinsteuer stammt, was mir durch eifriges Kopfnicken (und eine Fahne, die einen Grizzly umhauen würde) bestätigt wird.

Wir erklären die Party für beendet, komplimentieren Deutschlands Zukunft unter Protest des Gastgebers hinaus und verteilen freigebig Platzverweise. Offensichtlich sind wir den Jungs aber derart sympathisch, daß sie gar nicht daran denken, sich nach Hause zu verdrücken, sondern trotz Minusgraden in einiger Entfernung um das Haus herumlungern und uns von Zeit zu Zeit mit verbalen Bekundungen ihrer Zuneigung bedenken.

Nun reicht es mir und ich biete eine Übernachtung bei uns an. Murrend macht sich die wandelnde Sozialsystembelastung auf die Socken, wobei sie ein freundliches Geleit durch einige Kollegen erhalten. Doch kaum haben wir uns entfernt, um unser Batmobil zu holen, entscheidet man sich spontan, mein zuvorkommendes Angebot doch anzunehmen, indem man den Kollegen ein freundschaftliches Rugbymatch aufnötigt.

Anscheinend hat man dabei aber vergessen, daß die Regeln des International Rugby Board kein Pfefferspray zulassen. Macht aber nichts, denn der mißglücktes Versuch, gleichzeitig volltrunken auf dem Fahrrad zu fahren und eine Kollegin einzusprühen, erntet dem Ausnahmesportler intimen Kontakt mit dem Diensthund, während sein Teamkamerad nach einem ziemlich mißglückten Tackleversuch unter drei wohlgenährten Schutzleuten begraben wird. Zwei Blutprobenentnahmen und Ingewahrsamnahmen später darf ich mich hinsetzen und zwei Stunden damit zubringen, den Papierkram zu sortieren.

Liebe Leute, wenn ihr so wild darauf seid, eine Nacht in einem nach Urin und Desinfektionsmittel stinkenden Keller zuzubringen und dafür einen nicht ganz geringen Anteil eures Hartz-IV-Geldes per Polizeikostenrechnung abzudrücken, entscheidet euch doch nächstes Mal bitte etwas schneller. Wir hätten nämlich durchaus bessere Verwendung für die Stunden, die wir damit zugebracht haben, mit euch Ringelpiez mit Anfassen zwischen den Sozialblöcken zu spielen. Zum Beispiel könnten wir etwas für die Leute tun, die tatsächlich Steuern zahlen, anstatt uns mit schwachsinnigen, fruchtlosen und vollkommen sinnfreien Sachverhalten wie eurem herumzuärgern.

Obwohl... womöglich führt die Kostenrechnung und Geldstrafe ja in letzter Konsequenz dazu, daß ihr wegen Nichtzahlung in Erzwingungshaft geht. Das hätte zumindest den Vorteil, daß der Rest der Welt wenigstens für eine gewisse Zeit von euch verschont bleibt.

Montag, 28. Dezember 2009

Und es geht weiter

In der Nacht zum Heiligabend überfallen drei maskierte Männer eine Tankstelle in Leimen bei Heidelberg. Auf der Flucht werden sie unweit des Tatorts von einer Streife gesichtet und verfolgt. Einer der Täter gibt mehrere Schüsse in Richtung der Beamten ab, die zurückschießen und ihn zweimal treffen. Der getroffene Täter verstirbt noch vor Ort, seine beiden Komplizen werden wenig später festgenommen. Sie räumen ein, für etliche weitere Raubtaten der jüngsten Vergangenheit verantwortlich zu sein. Die Tatwaffe stellt sich als Schreckschußpistole heraus.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag rufen Anwohner in Hamburg-Barmbek die Polizei, weil ein psychisch kranker Nachbar in seiner Wohnung randaliert und Möbel zertrümmert. Nachdem auf Klingeln und Klopfen nicht reagiert wird, brechen die eingesetzten Beamten die Tür auf und betreten die Wohnung, um eine Eigengefährdung des Verursachers auszuschließen. Sie werden sofort von dem Bewohner mit einem Messer angegriffen. Nachdem ein Pfeffersprayeinsatz keine Wirkung zeigt, gibt derjenige Beamte, dem der Angriff unmittelbar gilt, drei Schüsse ab, die den Täter in den Oberkörper und Arm treffen. Der Täter verstirbt noch vor Ort.

Beim Lesen dieser Meldungen mußte ich an zwei Dinge denken. Zum einen ist mir wieder einmal bewußt geworden, wie sehr die subjektive Wahrnehmung vieler Kollegen ("So was wird mir schon nicht passieren, die Chance ist doch minimal") und die tatsächliche Faktenlage (polizeilicher Schußwaffengebrauch ist bundesweit gesehen ein regelmäßiges und keinesfalls übermäßig seltenes Vorkommmnis). voneinander differieren. Tatsächlich belegen die Zahlen der vergangenen zehn Jahre, daß jedes Jahr in ca. 30 - 80 Fällen die Dienstwaffe gegen Personen eingesetzt wird (Quelle: Prof. Clemens Lorei).

Wenn man voraussetzt, daß von den etwa 266.000 Polizeibeamten in Deutschland grob geschätzt etwa 80.000 im Streifendienst tätig sind (dessen Angehörige in aller Regel diejenigen sind, die in die Situation kommen, ihre Dienstwaffe tatsächlich benutzen zu müssen), ergibt das eine ungefähre Wahrscheinlichkeit von 1:1800 pro Jahr (!!) für den einzelnen Beamten. Wenn ich beim Lotto eine vergleichbare Chance auf den Hauptgewinn hätte, würde ich vermutlich jede Woche zum Kiosk rennen und einen Schein ausfüllen.

Der zweite Gedanke, der mich beschäftigt, ist die Überlegung, daß ein nicht geringer Teil dieser Schußwaffeneinsätze (nämlich gegen Personen, die mit Messern oder sonstigen Kontaktwaffen bewaffnet waren) womöglich hätte vermieden werden können, wenn den Einsatzkräften ein Taser zur Verfügung gestanden hätte. Selbstverständlich ist auch ein Taser kein Allheilmittel für alle Einsatzlagen. Er eröffnet aber Möglichkeiten, einen Täter, der aufgrund von Bewaffnung, körperlicher Statur oder sonstigen Umständen mit herkömmlichen nichttödlichen Einsatzmitteln nicht ohne unzumutbares Risiko für die eingesetzten Kräfte festgenommen werden kann, zu überwältigen, ohne dessen Gesundheit über Gebühr zu gefährden.

Derzeit ist der Taser nur bei diversen SEK und MEK in Gebrauch. Diese Einheiten werden aber in aller Regel nur bei Lagen eingesetzt, in denen im Vorfeld bereits Hinweise auf eine Bewaffnung des Täters vorliegen, können zwangsläufig erst erheblich später am Einsatzort eintreffen als der örtliche Streifendienst, und stehen für Soforteinsätze wie die erwähnten Vorfälle in Hamburg und Regensburg insofern nicht zur Verfügung.

Die Ausstattung des Streifendienstes mit dem Taser ist in Deutschland bisher aus verschiedenen. überwiegend politischen Gründen verworfen worden. Ursächlich dafür waren vor allem negative "media coverage" von Tasereinsätzen in den USA, bei denen es zu einigen Todesfällen kam, deren Hintergrund und Ursache bis dato noch weitgehend ungeklärt sind. Ich vermute allerdings, daß die Ansicht derjenigen, die eine flächendeckende Einführung des Tasers befürworten, sich mittelfristig durchsetzen wird, wie sie das auch in anderen Ländern getan hat.

Die Frage ist vielmehr, wieviele Menschenleben noch verlorengehen müssen, bis unsere gewählten Vertreter sich zu der Einsicht durchringen, daß wir ein zusätzliches Einsatzmittel benötigen, das zwischen Schlagstock/Pfefferspray und Schußwaffe angesiedelt ist.

Samstag, 26. Dezember 2009

Nachtrag

Beim Durchlesen einiger alter Beiträge von mir fiel mir soeben auf, daß ich vor fast genau einem Jahr hier schrieb, daß die Bundespolizei zukünftig ihre Einsatzkräfte mit der Walther P99 QA ausstattet. Das entspricht nicht den Tatsachen; korrekt ist vielmehr, daß die Bundespolizei (wie auch der Zoll) die Heckler & Koch P30 bekommt.

Hingegen ist es nach meinem Informationsstand nach wie vor so, daß die damit ausgestatteten Bundespolizisten tatsächlich aus Kostengründen kein Reservemagazin zu ihrer Waffe bekommen. Der Amtsschimmel wiehert, die Trainer schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, der Verfasser dieser Zeilen rollt mit den Augen und die Kollegen, die mit dieser Ausstattung in den Einsatz gehen müssen, gucken in die Röhre...

Was lange währt, wird endlich gut

Die Polizeibeamten, die vor einem Dreivierteljahr in Regensburg zu einem Einsatz anläßlich einer Bedrohungslage fuhren und im Verlauf dieses Einsatzes den Täter Tennessee Eisenberg nach erfolglosem Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz mit zwölf Schüssen töteten, können aufatmen... das Ermittlungsverfahren gegen sie wurde nunmehr endlich eingestellt und der Abschlußbericht der Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

Die Lektüre dieser (überaus interessanten und sowohl aus taktischer wie aus juristischer Sicht lesenswerten) Ausarbeitung bestätigt einige fundamental wichtige Grundsätze für den polizeilichen Schußwaffeneinsatz, deren Kenntnis die eigene Handlungssicherheit im Einsatz maßgeblich erhöht:

- die Stoppwirkung polizeilicher Dienstwaffen ist vollkommen unkalkulierbar und kann im Einzelfall nicht vorhergesagt werden

- gleiches gilt für Pfefferspray und jegliches andere Einsatzmittel, die auf der Zufügung von Schmerzen basieren

- die Justiz erwartet keinesfalls von dem Polizeibeamten, unter Einsatz seines eigenen Lebens die Auseinandersetzung mit einem Messertäter in der Nahdistanz zu suchen, da sie die erhebliche Gefährdung der Einsatzkräfte anerkennt, die ein solches Vorgehen mit sich bringen würde

- die Rechtmäßigkeit eines polizeilichen Schußwaffengebrauches ist nicht an eine bestimmte Anzahl Schüsse geknüpft, sondern es darf (und muß) solange weitergeschossen werden, bis die Gefahr für Leib und Leben abgewehrt ist

Diese Grundsätze mögen für denjenigen Leser, der mit der Thematik auch nur oberflächlich vertraut ist, selbstverständlich erscheinen. Sie sind es aber unter meinen Kollegen teilweise durchaus nicht, was bei dem einen oder anderen zu erheblicher Unsicherheit bezüglich der eigenen Einschreitschwelle führt.

Tatsächlich ist es im Ernstfall deutlich zu spät, sich diesen Überlegungen zu widmen. Jeder einzelne von uns muß die Frage "Wann und in welchem Fall schieße ich?" für sich selbst individuell und ausführlich im Voraus durchdacht und sich ein robustes, unkompliziertes gedankliches Modell der "rules of engagement" zurechtgelegt haben, das er auch unter Streß abrufen und umsetzen kann. Denn Unsicherheit und Zögern kann den Betreffenden im Einsatz diese winzigkleine Zeitspanne kosten, die womöglich irgendwann den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmacht.

Jeder von uns möge deshalb die "Linie im Sand" zumindest im Geiste rechtzeitig im Voraus ziehen. Dazu bedarf es einerseits regelmäßigen guten Trainings, um die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen zu können, und andererseits die gedankliche Auseinandersetzung mit Rechtsprechung, Gutachten und Einsatzberichten. In diesem Sinne möchte ich meinen Kolleginnen und Kollegen nachdrücklich ans Herz legen, sich mit dem oben verlinkten Bericht mal etwas ausführlicher zu beschäftigen... und mit allen anderen Daten und Fakten zu diesem Thema, die ihnen in die Hände fallen.

Fröhliche Weihnachten und paßt auf Euch auf...

Montag, 7. Dezember 2009

Aus nächster Nähe

... durfte ein junger Mann in Berlin vorgestern nacht erfahren, was man lieber bleibenlassen sollte, wenn einem die eigene Gesundheit am Herzen liegt.

Wie die BZ schreibt, vergnügen sich der tatverdächtige 19jährige Yassin G. und seine vier Freunde mit einer Flasche Whisky in einer öffentlichen Grünanlage. Dort hält sich gleichzeitig ein Zivilfahnder der Berliner Polizei auf, der etwas entfernt von seinen Teamkollegen einen Parkplatz überwacht.

Yassin G. fühlt sich durch die Blicke des Beamten provoziert und beschließt gemeinsam mit seinen Freunden, diesen zu verprügeln. Die Gruppe greift den Beamten unvermittelt an, schlägt und tritt massiv auf ihn ein. Der Beamte kassiert schwere Treffer gegen Kopf und Körper und wird von Yassin G. in den Schwitzkasten genommen. Daraufhin zieht er seine Dienstwaffe, gibt zunächst einen Warnschuß ab und schießt Yassin G. anschließend in den Unterschenkel. Die Täter flüchten in Panik und können wenig später in Tatortnähe festgenommen werden.

Dieses Ereignis hat mich zuerst etwas überrascht. Nicht weil die Reaktion des Polizeibeamten auf den Angriff unverständlich gewesen wäre, sondern weil die Polizei in Deutschland insgesamt sehr zurückhaltend von der Schußwaffe Gebrauch macht. Im Rahmen meiner Tätigkeit als polizeilicher Schießausbilder spreche ich regelmäßig mit den Kollegen, die zu mir ins Training kommen, über ihre eigenen Einsätze, und dabei kommen immer wieder Geschichten zum Vorschein, zu denen man im Grunde nur sagen kann: "Da hättest du aus rechtlicher Sicht schießen dürfen und es auch aus taktischer Sicht tun sollen."

Die Scheu, die eigene Schußwaffe gegen einen Täter einzusetzen und anschließend die juristischen und persönlichen Folgen tragen zu müssen, ist derart groß, daß etliche Kollegen im Zweifelsfall lieber nicht schießen und den Ausgang des Einsatzes ihrem Schutzengel überlassen.

Dabei wird zumindest die juristische Seite der Angelegenheit regelmäßig deutlich kritischer wahrgenommen, als sie tatsächlich eigentlich ist. Die große Masse der aufgrund eines Schußwaffengebrauchs der Polizei eingeleiteten Ermittlungsverfahren wird bereits durch die Staatsanwaltschaft eingestellt. Insgesamt endet nur ca. 1% aller Verfahren mit einer Verurteilung des Beamten. Daraus ergibt sich, daß in der Masse der Fälle, nämlich bei denjenigen Fällen, in denen der Schütze nach normalem Rechtsempfinden und gesundem Menschenverstand gehandelt hat, das Risiko nachteiliger juristischer Folgen äußert gering ist.

Die Hemmschwelle, die eigene Schußwaffe einzusetzen, ist also derart hoch, daß die Entscheidung zum Schußwaffengebrauch von den meisten Kollegen erst dann getroffen wird, wenn sie sich in massiver Lebensgefahr wähnen (im Regelfall durch einen Angriff mit einem gefährlichen Gegenstand). Dabei wird die Gefährlichkeit von bestimmten Situationen und Handlungen oft massiv unterschätzt. Ein mir bekannter Kollege (ebenfalls Schießtrainer) mit einer zweistelligen Anzahl an Dienstjahren auf der Straße verstieg sich unlängst sogar zu der abstrusen Äußerung, ein Schußwaffengebrauch sei für ihn nur dann gerechtfertigt, wenn er mit einem "richtig großen" Messer angegriffen würde, da die Justiz von ihm ja verlange, einen Angriff mit einem "kleinen Taschenmesser" nötigenfalls mit anderen Einsatzmitteln abzuwehren.

Von dem Unsinn dieser Einstufung von Messern in "gefährlich" und "weniger gefährlich" mal ganz abgesehen, wird diese Grundhaltung der Problematik nicht wirklich gerecht. Die einschlägigen Polizeigesetze der einzelnen Bundesländer lassen nämlich regelmäßig einen (auch mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlichen) Schußwaffengebrauch gegen Personen auch zur Abwehr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit zu.

Damit bewegen wir uns aus taktischer Sicht aber auf einem Gefährdungslevel, das durchaus auch schon im Rahmen eines unbewaffneten Angriffs (z.B. durch einen körperlich erheblich überlegenen Angreifer oder mehrere gemeinschaftlich handelnde Täter) verwirklicht werden kann, und mittlerweile immer häufiger im polizeilichen Alltag auftaucht. Die diversen medial breitgetretenen Vorfälle aus den letzten Monaten und Jahren, bei denen einzelne Opfer durch mehrere (meist angetrunkene) Gewalttäter zusammengetreten und dabei teilweise schwerstverletzt oder getötet wurden, belegen, daß ein gewaltsamer Angriff mehrerer Personen auf ein einzelnes Opfer immer als eine extrem gefährliche Situation gewertet werden muß.

Insofern komme ich nach anfänglicher Überraschung über die (in meinen Augen völlig richtige und nachvollziehbare) Reaktion des Berliner Zivilbeamten zu der Ansicht, daß wir zukünftig vermutlich deutlich mehr derartige Vorfälle erleben werden. In Zeiten, in denen die Gewalt auf der Straße im Allgemeinen und gegen Polizeibeamte im Besonderen jährlich zunimmt und massive gewalttätige Übergriffe aus Gruppen heraus gegen polizeiliche Einsatzkräfte auch bei Routineeinsätzen wie Ruhestörungen oder Streitigkeiten zur Regel werden, wird sich auch bei der Polizei mittelfristig die Ansicht durchsetzen, daß der rechtzeitige Einsatz der Schußwaffe auch in solchen Fällen unter Umständen die einzige Möglichkeit ist, den Einsatz ohne eigene schwerwiegende Verletzungen zu überstehen.

Das ist unschön, und der eine oder andere kritische Leser mag mir jetzt womöglich vorwerfen, daß ich den vielgeschmähten amerikanischen Verhältnissen das Wort rede, und wir uns ja schließlich nicht in South Central L.A. befinden. Dem kann ich nur entgegnen, daß eine solche Situation ihrer Natur nach weder amerikanisch noch deutsch noch fidjianisch ist, sondern schlicht und einfach eine logische Konsequenz bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse darstellt, die sich in Deutschland schon seit Jahren ankündigen.