Montag, 31. Januar 2011

Der Würger

... ist nicht etwa ein neuentdeckter Edgar-Wallace-Krimi, sondern vor allem eine viel zu oft vernachlässigte Möglichkeit der Anwendung von unmittelbarem Zwang.

Würgetechniken finden sich in vielen grapplingbezogenen Kampfsystemen wie z.B. Judo, BJJ, Submission Wrestling und den diversen sonstigen japanischen und westlichen Jiu-Jitsu-Stilen. Sie werden in Blutwürger und Luftwürger unterteilt. Blutwürger unterbrechen die Blutzufuhr zum Gehirn, indem sie die Blutgefäße an der Halsseite zusammendrücken, während Luftwürger die Luftröhre zusammendrücken und damit das Atmen erschweren bzw. verhindern.

Luftwürger haben den gravierenden Nachteil, daß durch den nötigen Druck auf die Halsvorderseite sehr leicht Verletzungen des Kehlkopfes und Halses hervorgerufen werden können. Weiterhin benötigen sie deutlich mehr Zeit, um wirksam zu werden, da das Gehirn des Gegners noch eine gewisse Zeit von dem bereits im Blutkreislauf enthaltenen Sauerstoff zehren kann, bevor eine Bewußtlosigkeit eintritt. Daher sind sie für eine polizeiliche Anwendung ungeeignet.

Blutwürger hingegen schlagen bei richtiger Anwendung deutlich schneller an und sind gesundheitlich grundsätzlich unbedenklich, sofern der Druck nach Eintreten der Bewußtlosigkeit nicht weiter aufrechterhalten wird. Die technischen Möglichkeiten, einen Blutwürger einzusetzen, sind vielfältig und reichen von Klassikern wie dem Rear Naked Choke/Mata Leao/Hadaka-jime über Würger unter Zuhilfenahme von Kleidungsstücken bis hin zu Beinwürgern wie dem Triangle Choke.

Auf der Matte sind Würger eine überaus potente Anwendung, die in den einschlägigen Zweikampfsportarten in einer Vielzahl von Wettkämpfen und Sparringsrunden die Entscheidung herbeigeführt haben. Für den interessierten Vollzugsbeamten sind sie allerdings auch im täglichen Dienst durchaus von Interesse. Ich habe in meiner bisherigen beruflichen Laufbahn bereits mehrfach die Erfahrung machen dürfen, daß Würger - bei entsprechender korrekter Anwendung - auch im polizeilichen Einsatz durchaus ihren verdienten Platz haben.

Ihr großer Vorteil gegenüber den im behördlichen Bereich gewöhnlich unterrichteten Kontrolltechniken wie Hebel oder Nervendrucktechniken liegt darin, daß sie nicht auf Schmerzempfinden angewiesen sind. Jeder Schutzmann weiß aus eigener vielfacher Erfahrung, daß man es immer wieder mit Kunden zu tun bekommt, die auf Schmerzreize nicht reagieren, weil ihr Schmerzempfinden durch Adrenalin und/oder Rauschmittel stark herabgesetzt worden ist. Ich habe erst vor wenigen Tagen im Einsatz mehrfach die angesetzten Hebel wieder aufgeben müssen, weil sie selbst an einem Punkt, an dem massive Gelenkschäden unmittelbar bevorstanden, keine Wirkung gezeigt haben.

Die (jedem Grapplingsportler vom Training her gut bekannte) Empfindung "Oh Scheiße, ich werde gewürgt und gleich gehen hier die Lichter aus" dringt meiner Erfahrung nach jedoch auch bei den zugedröhntesten Kandidaten durch und kann bei richtig dosierter Anwendung dazu genutzt werden, um dem Probanden die Sinnlosigkeit seines Tuns nachdrücklich vor Augen zu führen. "Angst essen Seele auf" ist ein hervorragender Motivator. Und im Extremfall bietet ein Würger natürlich auch die Möglichkeit, die Zielperson für einen Moment schlafenzulegen.

Disclaimer: ich propagiere nicht, jeden Widerständler umgehend abzuwürgen. Würgen will (wie alle körperlichen Fähigkeiten) gekonnt sein, und Training unter kompetenter Anleitung ist ein Muß. Weiterhin stellt es aufgrund der Funktionsweise einen deutlich schwerwiegenderen Eingriff als ein Hebel dar. Ich denke allerdings, daß die Tatsache, daß Würgen in der polizeipraktischen Grundausbildung der meisten Polizeien nicht unterrichtet wird, nicht dazu führen sollte, diese Option pauschal auszuschließen. Insofern stellt Würgen meiner Ansicht nach eine weitere mögliche Eskalationsstufe im Rahmen des Einsatzes von einfacher körperlicher Gewalt dar, wenn der Täter massiven Widerstand leistet, weniger einschneidende Techniken erfolglos bleiben UND der Anwender weiß, was er da tut.

Selbstverständlich taugt die Kenntnis von Würgetechniken nichts ohne die Fähigkeit, sie vorzubereiten, anzusetzen und zu verteidigen. "Position before submission" gilt nicht nur im Gym, und wer sich dieses Mittel im Einsatz zunutze machen möchte, sollte daher regelmäßig Trainingszeit in sein Grappling investieren... und mit guten Leuten rollen.

Happy Choking!!

P.S. Ich entschuldige mich bei allen meinen geschätzten Lesern für die einjährige Pause und gelobe Besserung...