Donnerstag, 22. Januar 2009

Der unsägliche "Deutschuß"

Beim heutigen Schießtraining mußte ich (wieder einmal) bei einem gerade erst frisch aus dem Studium gekommenen Kollegen eine Schwäche feststellen, die ich in ähnlicher Form schon bei vielen "Frischlingen" bemerkt habe, die erst in den letzten Jahren ihre Ausbildung absolviert haben. Besagte Schwäche manifestiert sich regelmäßig darin, daß der betreffende Schütze bei Übungen (auch ohne Zeitlimit) auf Distanzen unterhalb von zehn Metern ziemlich schnell und anscheinend ziemlich ungezielt in die grobe Richtung des Ziels schießt, was in der Konsequenz natürlich zu einem Trefferbild führt, das bestenfalls als suboptimal zu bezeichnen ist. Auf Deutsch gesagt, es wird wild und weitgehend techniklos in die Gegend geballert.

Als neugieriger Mensch fragte ich natürlich bei den entsprechenden Kandidaten nach, warum sie das täten. Ich bekam zur Antwort, "Na ja, ich dachte, ich soll einen Deutschuß machen..." Als ich anregte, doch einfach mal die Visierung zu benutzen und sich vielleicht ein klitzekleines bißchen mehr Zeit zu nehmen, erntete ich mehr als einmal ein verdutztes Gesicht und die Frage, "Wie, du meinst, so richtig mit zielen? Das sollten wir im Studium immer nicht machen..."

Irgendwie konnte ich mir darauf aber keinen Reim machen. Also besorgte ich mir den Lehrplan und las die entsprechenden Inhalte selber nach. Man stelle sich meine Überraschung vor, als ich las, daß laut Curriculum im Studium tatsächlich visiertes Schießen nur am Rande behandelt und stattdessen schwerpunktmäßig der "Deutschuß", also ein reaktionsschneller unvisierter Schuß trainiert werden soll. Auf Nachfrage wurde mir das damit begründet, daß ein Anwärter im Praktikum ja aus rechtlichen Gründen nur in einer Notwehrsituation schießen dürfte (also nicht zur Verhinderung einer Flucht/Gefangenenbefreiung etc.) und daß deswegen dem visierten Schuß keine wirkliche Bedeutung zukäme.

Liebe Leute, das ist sowohl aus schießtechnischer als auch aus methodisch-didaktischer Sicht furchtbarer Blödsinn.

Zum einen sind "Deutschuß" und "visierter Schuß" keine exklusiven, sich gegenseitig ausschließenden Kategorien, in die jeder einzelne Schuß irgendwie reingequetscht werden muß. Tatsächlich stellen die vollständig unvisierte, ausschließlich aus dem Körpergefühl erfolgende Schußabgabe und der präzise visierte, einen messerscharfen Fokus auf die Visiereinrichtung legende Schuß jeweils ein unterschiedliches Extrem auf einer Skala dar, zwischen denen sich eine riesige Bandbreite von Zwischentönen befindet.

Es wäre unsinnig und methodisch höchst ungünstig, aus dieser Bandbreite willkürlich zwei Punkte auszuwählen und als absolute Werte zu verkaufen. Tatsächlich muß sich die Antwort auf die Frage, wieviel Gewichtung ich auf eine präzise Visierung lege, inwieweit ich die Visiereinrichtung meiner Waffe wahrnehme und wo ich mich auf der vorgenannten Skala bewege, jeweils einzelfallabhängig daraus ergeben, wie groß mein Ziel ist, welchen Grad an Präzision ich benötige und welche Zeit ich dafür zur Verfügung habe. Diese Entscheidung ist eine Erfahrungssache und verlangt Training (das der Schütze nicht bekommt, wenn er immer auf eins der beiden Extreme festgenagelt wird). Aufgrund meiner persönlichen, im Rahmen einer Vielzahl von IPSC-Matches und etlichen FX-Trainings gesammelten Erfahrungen bin ich der Ansicht, daß ab einer Entfernung von 3m zumindest eine grobe visuelle Überprüfung der Ausrichtung der Waffe erfolgen sollte. Ab einer Entfernung von etwa 6m ist eine reproduzierbare annehmbare Präzision ohne Verwendung der Visierung für die meisten Schützen ohnehin nicht mehr möglich.

Zum anderen wird offensichtlich vollkommen übersehen, daß die Fähigkeit, einen schnellen, präzisen "Deutschuß" (ich setze diesen Begriff bewußt in Anführungszeichen, weil ich seine Verwendung aus den vorgenannten Gründen für ungünstig und mißverständlich halte) abzugeben, nicht in erster Linie dadurch aufgebaut wird, daß man im Training viele schnelle "Deutschüsse" abgibt. Ein ganz oder weitgehend unvisiertes Schießen setzt voraus, daß der Schütze über ein sehr gut ausgeprägtes Muskelgedächtnis verfügt, das dafür sorgt, daß die Waffe im Moment der Schußabgabe auch ohne visuelle Referenz in der korrekten Position ist. Dieses Muskelgedächtnis entsteht aber - welch Überraschung - nur dadurch, daß der Körper die KORREKTE Bewegung etliche tausend Male in perfekter Form wiederholt.

Kurz gesagt, um erfolgreich ohne tatsächliches Visierbild schießen zu können, muß man zuerst einmal fundierte, robuste und streßresistente Fähigkeiten im visierten Schießen entwickeln. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten wird aber durch die derzeit im Studium übliche Trainingsmethode nicht nur nicht betrieben, sondern sogar verhindert. Unter diesen Umständen ist es leicht zu erklären, warum derart viele Berufsanfänger erhebliche Defizite in ihren Schießfertigkeiten aufweisen und selbst bei relativ einfachen Drills wie der Kontrollübung aus der PDV 211 (teilweise massive) Probleme haben. Letztlich ist diese Praxis ungefähr das Äquivalent dazu, eine Person zum Sparring in den Ring zu schicken, ohne ihr jemals vorher am Sandsack boxerische Grundschläge vermittelt zu haben.

Nun mag der eine oder andere polizeiliche Schießtrainer, der sich in seinem doktrinären Ego gekränkt fühlt, einwerfen, daß ich ja den Zeitfaktor außer Acht lassen würde, und daß im Realfall ja überhaupt nicht die Zeit vorhanden sei, um die Visiereinrichtung benutzen zu können. Das stimmt aber nicht. Tatsächlich ist der einzige Faktor, der die Geschwindigkeit eines visierten Schusses im Vergleich zu einem unvisierten Schuß begrenzt, die Fähigkeit des menschlichen Auges, Ziel und Visiereinrichtung aufzunehmen und in Beziehung zueinander zu setzen, und diese Fähigkeit ist relativ einfach zu trainieren. Ich habe meine eigenen Zeiten mal mit einem Shot-Timer gemessen und festgestellt, daß ich selbst bei geschlossenem Sicherheitsholster und locker herabhängenden Armen im Durchschnitt nur etwa 1,8 Sekunden für eine gezielte Schußabgabe auf ein 6m entferntes Ziel benötige. Bei geöffnetem Holster und bereits gegriffener Waffe verringert sich die Zeit auf etwa 1,3 Sekunden.

Das Geheimnis liegt schlicht und einfach in der Art und Weise, wie ich meinen Ziehvorgang gestalte. Ich kann durch entsprechendes Training meine Ziehzeiten verbessern, aber letztendlich nur bis zu einem gewissen Grad. Was ich aber darüberhinaus tun kann, ist, die vom Ziehvorgang konsumierte Zeit besser zu nutzen und sie bereits für die Zielaufnahme und Visierung zu verwenden. Dies geschieht dadurch, daß ich die Waffe nicht einfach aus dem Holster rupfe und sie irgendwie von unten nach vorne/oben bringe, sondern sie stattdessen zuerst eng am Körper nach oben führe und sie unmittelbar vor meinem Brustbein mit der Nichtschußhand zusammenführe.

Dabei ist es wichtig, die Waffe schon in diesem Stadium so weit wie möglich nach oben zu bringen. Wenn ich dies tue, befindet sich die Waffe nämlich bereits zu diesem Zeitpunkt des Ziehvorgangs in meinem peripheren Sichtfeld. Von dieser engen, komprimierten Position ausgehend schiebe ich die Waffe nun vorwärts in einer nahezu horizontalen Bewegung in die letztendliche Schußposition. Da sie sich schon zu Beginn dieser Bewegung in meinem Sichtfeld befindet, kann ich schon zu diesem Zeitpunkt eine visuelle Referenz zum Ziel herstellen und die Waffe auf selbiges ausrichten. Je weiter sich die Waffe nach vorne bewegt, desto klarer wird sie für mich sichtbar und desto genauer kann ich Visierung und Ziel in Übereinstimmung bringen. Wenn die Waffe vorne angekommen ist, steht sie somit bereits perfekt im Ziel und ich kann ohne weitere Verzögerung oder optische Verifizierung abdrücken.

In seiner Gesamtheit betrachtet besteht der Ziehvorgang im Grunde aus zwei aufeinander folgenden Bewegungsvektoren, nämlich einem aufwärts gerichteten und einem vorwärts gerichteten. Dabei ist es von erheblicher Wichtigkeit, daß sie nicht miteinander vermischt werden, d.h. die Waffe geht erst in die Vorwärtsbewegung über, wenn sie sich hoch vor der Brust befindet und die Nichtschußhand einen festen Griff erreicht hat.

Das klingt zunächst recht kompliziert, ist es aber eigentlich nicht. Mittels konsequentem Trockentraining (zunächst langsam, später mit zunehmender Geschwindigkeit) gelingt es auch ungeübten Schützen erfahrungsgemäß relativ schnell, das motorische Prinzip zu verinnerlichen, die Bewegung flüssig zu gestalten und eine schnelle und sichere Zielaufnahme und Visierung zu erreichen. Eine Videodarstellung und Schritt-für-Schritt-Erläuterung dieses Bewegungsmusters findet sich hier. Für weitere detaillierte Informationen empfehle ich die in diesem Blog bereits vorgestellte Trainings-DVD "Fighting Handgun" von Craig Douglas, der diese Methodik maßgeblich geprägt hat.

Bis jetzt konnte ich bei jedem Trainingsteilnehmer, dem ich diese Methodik vermittelt habe, eine sofortige erhebliche Verbesserung feststellen. Und vor allem - und das halte ich für recht wesentlich - wurden ihre Trefferbilder schlagartig reproduzierbar. Die Teilnehmer machten (teilweise zum ersten Mal) die Erfahrung, daß ihre Schießergebnisse plötzlich berechenbar, nachvollziehbar und auf Kommando wiederholbar waren.

Insofern ist es in meinen Augen an der Zeit, das Konzept "Wir trainieren den Deutschuß bis zum Abwinken" in die Ablage (rund) zu befördern.

Mittwoch, 21. Januar 2009

Es ist nicht jedem gegeben

Früher war ich immer der Ansicht, Straftäter würden in erster Linie deswegen straffällig, weil sie zu faul und bequem seien, um ihren Lebensunterhalt auf gesetzeskonforme Weise (namentlich durch Arbeit) zu verdienen. Mittlerweile tendiere ich eher zu der Vermutung, daß es nicht so sehr an der Faulheit scheitert, sondern eher an der Tatsache, daß die meisten von ihnen schlicht und einfach zu blöd dafür sind...

Eines schönen Vormittags fahre ich mit meiner Streifenpartnerin ohne Ziel durch unser malerisches Städtchen, als die Wache uns auf einmal einen Einsatz gibt. Im Schuhgeschäft soll ein junger Mann Schuhe gestohlen haben und dann geflüchtet sein. Vor Ort erklärt uns die Filialleiterin, der Täter habe sich hinter einem Regal herumgedrückt und kurze Zeit später das Geschäft fluchtartig mit nagelneuen Schuhen an den Füßen verlassen.

Anschließend habe sie entdeckt, daß er seine alten versifften Treter fein säuberlich in den Schuhkarton verpackt und diesen wieder ins Regal gestellt hätte (zweifelsohne, um zukünftige Kunden mit einem tollen Schnäppchen zu überraschen und das Produktportfolio des Geschäftes zu verbessern). Bei den gestohlenen Schuhen habe es sich um auffällige Turnschuhe mit unverwechselbarem Logo gehandelt.

Aufgrund ihrer Personenbeschreibung weiß ich schon ungefähr, welcher unserer Stammkunden es vermutlich gewesen ist. Wieder zurück auf der Wache, bitte ich den Rest der Truppe, in den nächsten Tagen mal etwas Ausschau nach ihm zu halten und sich seine Schuhe näher anzugucken. Und tatsächlich spricht mich am nächsten Tag ein Kollege an.

"Du, sag mal... du suchst doch den B. Der steht gerade draußen im Vorraum."

Ich flitze nach vorne, und tatsächlich steht im Vorraum der Wache unser alter Freund B. und guckt etwas gelangweilt in der Gegend herum. Ich schnappe ihn mir und fordere ihn auf, seine korreggd krassen Checkerhosen mal etwas hochzuziehen und mir seine Schuhe zu zeigen.

"Ey Alder, was is los, hey?" entgegnet er, was ich im Geiste korrekt in "Entschuldigen Sie, Herr Wachtmeister, warum möchten Sie denn meine Schuhe sehen?" übersetze. Ich überzeuge ihn mit etwas mehr Nachdruck davon, daß ich jetzt sofort seine Schuhe sehen möchte, und siehe da... es sind die entwendeten Turnschuhe, komplett mit Preisschild des Schuhgeschäfts. Die ist er natürlich gleich los, worüber er sich mittelschwer verärgert zeigt und mir enthüllt, daß ich ihn allein aus rassistischen Motiven mit meinem Haß verfolgen würde.

Es stellt sich heraus, daß der Volltrottel einen Tag nach dem Diebstahl auf der Dienststelle zur Vernehmung in anderer Sache durch einen anderen Kollegen erschienen ist - mit dem Diebesgut an den Füßen. Ich bin fröhlich gestimmt, mein Kunde deutlich weniger. Der vernehmende Kollege ist auch etwas mißmutig... seine Vernehmung hat sich nämlich gerade erledigt, weil der Beschuldigte sich ob der massiven rassistischen Unterdrückung und Verfolgung seiner Person nun entschieden hat, nicht mal mehr "PIEP!" zu sagen.

Na ja, was solls... er hätte ohnehin nur Blödsinn erzählt.

Mittwoch, 14. Januar 2009

Fighting Handgun

Neulich trudelte endlich das Päckchen aus den USA mit meiner neuesten DVD-Erwerbung ein: "Fighting Handgun Vol. 1" von und mit Craig "SouthNarc" Douglas. Als jemand, der grundsätzlich nicht viel davon hält, nach Videos zu trainieren, war ich naturgemäß zuerst etwas mißtrauisch.

Glücklicherweise durfte ich feststellen, daß diese DVD sich als eine äußerst sinnvolle Investition herausstellte. Übergreifendes Thema der DVD ist der taktische Einsatz der Kurzwaffe auf den relevanten Entfernungen ab Kontaktdistanz aufwärts. Craig Douglas selbst ist Polizeibeamter mit langjähriger Dienst- und Einsatzerfahrung in verschiedenen Verwendungen (u.a. Scheinkäufer/verdeckter Ermittler im BTM-Bereich und SWAT-Angehöriger) und hat sich mit ebendiesem Thema in Training und Praxis langjährig und intensiv auseinandergesetzt.

Grundlage und Mittelpunkt von Douglas' Trainingsansatz ist der Aufbau und die sinnvolle Gestaltung des Ziehvorgangs, da die hierbei entwickelten motorischen Fähigkeiten maßgeblichen Einfluß darauf ausüben, wie schnell der Anwender seine Waffe ins Spiel bringt und wie sicher und präzise er aus dem Ziehen, aber auch aus anderen Bewegungen heraus das Ziel aufnimmt und trifft. Die Erläuterung und der Schritt für Schritt erfolgende Aufbau einer effektiven Ziehbewegung nimmt einen großen Teil der Laufzeit der DVD ein.

Aufgrund der zentralen Rolle des Ziehvorgangs in der Trainingsmethodik und dem Einsatzkonzept legt Douglas großen Wert darauf, ihn so zu gestalten, daß er möglichst "multifunktional" ist, d.h. daß ein und derselbe Bewegungskomplex bzw. Teile desselben für die Handhabung und den Einsatz der Waffe auf allen Distanzen verwendet werden und alle Waffenhaltungen und Schießpositionen sich logisch aus seinem Verlauf heraus ergeben. Dadurch wird gewährleistet, daß die gesamte Motorik der Waffenhandhabung einem einzigen übergeordneten Prinzip folgt, und nicht unterschiedliche geartete oder sogar gegensätzliche Bewegungen für unterschiedliche Aufgaben trainiert werden.

Nachdem die Ziehbewegung umfassend und bis ins Detail erläutert worden ist, stellt Douglas dar, welche Einsatzmöglichkeiten sich daraus für die verschiedenen Distanzen ergeben, und bietet eine logische Progression aus immer anspruchsvoller werdenden Übungen für den scharfen Schuß an. Besonderes Gewicht legt er dabei auf die Schußabgabe auf Kontaktdistanz, deren Komplexität sich aus der Schwierigkeit ergibt, einen Fremdzugriff auf die Waffe zu verhindern, sich gegen Einwirkung durch den Täter zu schützen, im Clinch nicht die eigenen Gliedmaßen zu treffen und trotzdem eine konsistente und wiederholbare Trefferlage zu gewährleisten.

Hieran anknüpfend thematisiert Douglas in den letzten Kapiteln die nahtlose Einbindung von Nahkampftechniken und Deckungs- und Abwehrverhalten in die Waffenhandhabung und den Einsatz der Schußwaffe im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung bis hin zum Bodenkampf. In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß er nicht "nur" reines Waffentraining vermittelt, sondern aufgrund seines umfangreichen kampfsportlichen Backgrounds in etlichen Disziplinen eine integrative, ganzheitliche Vermittlung von sinnvollem Kampfverhalten mit und ohne Waffen präsentieren kann.

"Tote" Partnerübungen, in denen ein Partner nach einem alibihalber vorgetragenen Einzelangriff stehenbleibt und eine halbe Minute lang den unbeweglichen Dummy für eine Myriade an filigranen Kontertechniken spielt, sucht man hier vergebens... ebenso wie Wohlfühl-Flowdrills oder sonstige abgesprochene Koordinationsspielchen. Stattdessen werden die vermittelten Konzepte von Douglas aus lebendige Weise mit einem Widerstand leistenden und selbständig agierenden Partner vorgeführt. Es ist gut zu erkennen, daß es hier um robuste und funktionelle Sachen geht, die im Gegensatz zu vielen anderen SV-Konzepten nicht auf ein kooperatives "Opfer" angewiesen sind, sondern bei entsprechendem Training auch in einer freien "Sparringsumgebung" funktionieren, in der gleichberechtigt ausgeteilt und eingesteckt wird.

Insgesamt gesehen stellt diese DVD eine empfehlenswerte Bereicherung für jede "taktische Bibliothek" dar. Sie spricht grundsätzlich sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene an, eignet sich aufgrund der anspruchsvollen Thematik allerdings eher für Leute, die bereits einige Grundkenntnisse in den Bereichen Schießen und Einsatztraining/Kampfsport haben. "Fighting Handgun" sticht durch den stringenten konzeptionellen Aufbau und den integrativen Ansatz aus der Masse der Literatur zum Thema Schießtraining/taktische Ausbildung deutlich hervor und bietet insbesondere wertvolle Anregungen für die sinnvolle Verknüpfung von Waffenhandhabung und körperlichen Abwehr- und Zugriffstechniken.

"Fighting Handgun Vol. 1" hat eine Laufzeit von 103 Minuten und kann über MD Tactical zum Preis von 65,- US$ (inkl. Versand) bezogen werden. Die Lieferzeit beträgt etwa drei bis vier Wochen.

Mittwoch, 7. Januar 2009

One-shot stop

Ich bin seinerzeit während meiner Polizeiausbildung noch in den Genuß gekommen, im Winter bei frostigen Temperaturen auf einem Freiluftschießstand der Bundeswehr auf die üblichen Pappziele zu schießen... Quadrate, Kreise, Dreiecke und Bögen. Auszuschließen ist es immerhin nicht, daß man im Rahmen der polizeilichen Tätigkeit mal irgendwann von einem solchen angegriffen wird.

Da wir uns mittlerweile im 21. Jahrhundert befinden, hat bei den meisten Polizeidienststellen mittlerweile die moderne Raumschießanlage mit Beamer und diversen Videodarstellungen Einzug gehalten. Man kann böse Menschen in interaktiven Filmen auf einer Großleinwand umnieten, die je nach Knöpfchendrücken des Schießausbilders unterschiedlich reagieren, und die anatomisch korrekt umfallen, wenn man sie trifft. Sämtliche Treffer werden per Infrarotlicht registriert und sofort angezeigt. Man kann allerdings auch nach wie vor auf Kreise, Dreiecke, Quadrate und Bögen schießen, wenn man nostalgisch veranlagt ist oder wenn man (wie ich) der Meinung ist, daß interaktive Szenarien mit "lebenden" Gegenübern lieber in 3D mit FX-Waffen beim Einsatztraining gemacht werden sollen, und daß die Zeit auf dem Schießstand lieber für sinnvolles und qualitativ hochwertiges Techniktraining genutzt werden sollte.

Was sich leider trotz guter technischer Ausstattung nicht geändert hat, sind die Ansichten und Erwartungen bezüglich dessen, was denn passiert, wenn man wirklich mit einer Kurzwaffe auf einen Menschen schießt. Mittlerweile gehört es immerhin zumindest zur gängigen polizeilichen Trainingsdoktrin, daß im Falle eines Schußwaffengebrauchs so lange weitergeschossen wird, bis entweder beim Täter eine sichtbare Angriffsunfähigkeit eintritt oder der Täter von einer Fortführung des Angriffs absieht. Die Frage, die sich an diesem Punkt stellt, ist allerdings, wie schnell eine derartige Stoppwirkung tatsächlich zu erreichen ist.

Tatsächlich scheinen immer noch viele Leute in Polizeikreisen davon auszugehen, daß dies bereits beim ersten Treffer in einen vitalen Bereich der Fall sein wird. Diese Haltung wird im Schießtraining unterbewußt noch dadurch verstärkt, daß sämtliche Zieldarstellungen aufgrund der Programmierung der Anlage bereits nach dem ersten Treffer als neutralisiert gelten... Videodarsteller fallen um und Zielscheiben werden als getroffen markiert, wodurch in der Wahrnehmung des Trainierenden die Verknüpfung "Erster Treffer = Wirkungstreffer" verankert wird. In der bundeseinheitlichen Kontrollübung gemäß der PDV 211 findet sich dasselbe Prinzip wieder.

Auch der übertriebene "Hype" um die vor einigen Jahren flächendeckend in Deutschland eingeführte neue Einsatzmunition (Expansivgeschosse, namentlich RUAG Ammotec Action 4 und MEN PEP 2) hat nicht unwesentlich zu dieser Einschätzung der Wirksamkeit der eigenen Dienstwaffe beigetragen. Mir begegnen im täglichen Dienst regelmäßig Aussagen von Kollegen, die sinngemäß so lauten: "Wir haben doch jetzt die neue Mannstoppmunition, damit muß man doch sowieso nur ein- oder zweimal schießen, dann fällt der schon wegen der Schockwirkung um, egal wohin ich treffe."

In Wirklichkeit (und das beweisen Berichte aus dem tatsächlichen Einsatz aus aller Welt immer wieder aufs neue) verfügen Kurzwaffenkaliber lediglich über eine ziemlich unberechenbare und oftmals unbefriedigende Stoppwirkung, Geschoßform hin oder her. Und Legenden über irgendeine "Schockwirkung", die aus einer besonderen Geschoßform resultieren soll, sind eben nur das - nämlich Legenden. Ein Schock im medizinischen Sinne ist schlicht und einfach eine Unterversorgung des Gehirns mit Blut.

Diese kann (aus zielballistischer Sicht) durch einen massiven Blutverlust (hämorrhagischer Schock, ausgelöst durch eine Verletzung des Herzens oder der großen Blutgefäße) oder durch eine starke Erweiterung der Blutgefäße (neurogener/spinaler Schock, ausgelöst durch eine verletzungsbedingte Stimulierung des vegetativen Nervensystems) und ein dadurch bedingtes "Versacken" des Blutes im Körper verursacht werden.

Beide Varianten sind praktisch nicht sicher vorauszusagen. Auch Faktoren wie der körperliche und psychische Zustand und Drogen- oder Alkoholkonsum der betreffenden Person spielen eine Rolle. Hinzu kommt, daß selbst bei massivem Blutverlust durch eine Verletzung des Herzens oder der Bauchschlagader eine Handlungsunfähigkeit vermutlich frühestens nach Ablauf von zehn Sekunden eintreten wird... je nach Ausmaß der Verletzungen u.U. auch erst viel später. Insofern ist die Frage, wie oft man einen menschlichen Gegner tatsächlich beschießen muß, um eine Handlungsunfähigkeit zu erreichen, im Grunde ein Lottospiel, dessen Ergebnis nicht im Voraus berechnet werden kann.

Um mal ein Extrembeispiel zu liefern, möchte ich das hier geschilderte Ereignis anführen. Laut dem Obduktionsergebnis wurde der Täter 22-mal getroffen, davon allein 17-mal im Bereich der Oberkörpermitte. Bei den verwendeten Geschossen handelte es sich um .40 S&W Ranger SXT, die sowohl ein größeres Grundkaliber als auch bessere Expansionseigenschaften und eine größere Geschoßenergie als die Einsatzmunition deutscher Polizeibehörden aufweisen. Trotzdem blieb der Täter bis zum letzten Treffer aktionsfähig, setzte seinen Angriff auf den Polizeibeamten bis zu diesem Zeitpunkt fort und verstarb erst vier Minuten nach Ende der Auseinandersetzung.

Man kann also mit Sicherheit sagen, daß ein berechenbarer und sicherer "one-shot stop" mit einer Kurzwaffe außer durch einen direkten Kleinhirntreffer nicht zu bewerkstelligen ist (was in aller Regel technisch und taktisch nicht machbar sein wird). Tatsächlich wird man im Fall eines Schußwaffengebrauchs davon ausgehen müssen, daß zumindest eine nicht ganz unerhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, daß eine Stoppwirkung nicht nach dem ersten Treffer eintritt und der Täter mehrfach beschossen werden muß.

Und diese Erkenntnis sollte sich auch im Training wiederspiegeln, indem die Übungen (und entsprechend auch die Programmierung der Schießanlage) so gestaltet werden, daß die Anzahl der Treffer, die für die Neutralisierung eines Ziels gefordert werden, variabel ist und mehr als einen einzigen umfassen kann. Ansonsten trainieren wir nämlich an der Realität vorbei - und zwar in einem Themengebiet, auf dem ebendas fatale Konsequenzen für uns haben kann.

Die Polizei, dein Feind und Gegner

Langsam scheint auch die Mainstream-Presse dahinter gekommen zu sein, daß sich die in meinem letzten Eintrag angesprochene zunehmende Gewalt auf unseren Straßen nicht nur als wahlloser Ausbruch von Aggression oder als langeweilebedingte Pöbelei von Halbstarken gegen ein zufälliges Opfer manifestiert, sondern sich auch zunehmend gezielt, planmäßig und mit hoher Intensität und krimineller Energie gegen Polizeibeamte richtet.

Zumindest läßt der gleichnamige Artikel bei SPIEGEL-Online diesen Schluß zu. Ich bin gespannt, ob die öffentliche Diskussion über dieses Thema irgendwann ein politisches Umdenken beim Thema "Innere Sicherheit" anstößt... namentlich über die Frage, ob man bei Einsatzmitteln, Personalstärke und Besoldung der Polizei nicht lieber deutlich mehr anstatt weniger investieren sollte. Besonders zuversichtlich bin ich (aus Erfahrung) allerdings nicht.